Wie deutsch ist denn eigentlich das Pennsylvaniadeutsche?

“The language used by our German-speaking country­men [in Pennsyl­va­nia] is a pitifully broken mishmash of English and German with regard to words as well as their combi­na­ti­on.”
Johann David Schöpf, 1788 (zitiert nach Louden 2016: 1)

Was ist das Pennsylvaniadeutsche für eine Sprachvarietät?

Das Pennsyl­va­nia­deut­sche nennt sich Deitsch auf Pennsyl­va­nia­deutsch und (Pennsyl­va­nia) Dutch auf English. In der Forschungs­li­te­ra­tur wird es häufig Pennsyl­va­nia German genannt. Es wurde lange und wird noch immer von manchen als ein Dialekt des Deutschen bezeichnet.

Der Unter­schied zwischen Dialekt und Sprache ist aber in den meisten Fällen eher politisch als lingu­is­tisch bestimmt (Louden 2016: 9–10). Für mich ist das Pennsylvaniadeutsche eine Sprache, die eng verwandt ist mit den deutschen Varie­tä­ten in Europa, und kein Dialekt. Zum einen existiert es seit über 300 Jahren in den USA und wurde von der Haupt­spra­che Englisch beein­flusst. Dabei stammt es nicht aus einem Dialekt des Deutschen, sondern ist eine Misch­va­rie­tät. Zudem ist die Sprache weit verbrei­tet und wird von einer Vielzahl verschie­de­ner Gruppen in den USA gespro­chen. Die Sprache hat ihre eigenen (gegen­sei­tig verständ­li­chen) Dialekte entwi­ckelt, die unter­schied­li­che Merkmale in der Ausspra­che, im Wortschatz und zahlrei­chen weiteren Aspekten aufweisen.

Es ist aber sehr deutlich zu erkennen, dass das Pennsyl­va­nia­deut­sche am engsten mit dem rhein­frän­ki­schen Dialekt verwandt ist. Das Rheinfränkische (oder Pfälzi­sche) wird in dem Bundes­land Rheinland-Pfalz gespro­chen (siehe Abb. 1). Die enge sprach­li­che Beziehung sieht man anhand der Ähnlich­kei­ten in jeder lingu­is­ti­schen Domäne. Zum Beispiel gibt es in der Phono­lo­gie weder im Rhein­frän­ki­schen noch im Pennsyl­va­nia­deut­schen die Affrikate /pf/ (z. B. Pann und Kopp auf Rhein­frän­kisch und Pennsyl­va­nia­deutsch, die im Standard­deut­schen ‚Pfanne‘ und ‚Kopf‘ heißen). In der Morpho­lo­gie zeigt sich, dass die Diminu­tiv­form {-li} (wie z.B. Scheefli ‚Schäfchen‘) eng mit den südwest­deut­schen Dialekten verwandt ist ({-li} wird auch im Rhein­frän­ki­schen Sprach­raum verwendet; Reed & Seifert 1954). Auch bei der Wortstel­lung wird deutlich, dass das Pennsyl­va­nia­deut­sche eine deutsche Varietät ist. Außer in Neben­sät­zen, in denen das Verb am Ende steht, muss das Verb immer an der zweiten Position stehen (siehe „wann ich en glee Meedli war, hen mer Paar Hunde ghat“ im pennsyl­va­nia­deut­schen Text unten). Lexika­lisch ist ebenfalls leicht zu erkennen, dass das Pennsyl­va­nia­deut­sche und das Rhein­frän­ki­sche eine enge Verbin­dung haben. Zum Beispiel werden das Verb schwetze ‚sprechen‘ und das Nomen Gaul ‚Pferd‘ auch im Rhein­frän­ki­schen verwendet, obwohl sie im Standard­deut­schen anders ausge­drückt werden (Post 2019).

Abb. 1: Dialekt­ein­tei­lung nach Wiesinger (1983) erstellt mit https://regionalsprache.de/SprachGIS/Map.aspx. Das grüne Polygon zeigt die Lage des Bundes­lan­des Rheinland-Pfalz. Die meisten Vorfahren der Pennsyl­va­nia­deut­schen kamen aus der Vorder­pfalz, wo Rhein­frän­kisch gespro­chen wird.

Wer spricht diese Sprache?

Wie viele andere Immigran­ten­spra­chen in den USA ist das Pennsyl­va­nia­deut­sche ein wichtiger Aspekt der kultu­rel­len Herkunft für die Nachkom­men­schaft. Es gibt auch heutzu­ta­ge noch viele Pennsyl­va­nia­deut­sche, insbe­son­de­re in Pennsyl­va­nia, wo die ursprüng­li­chen Immigran­ten (haupt­säch­lich aus der Pfalz) im 18. Jahrhun­dert angekom­men sind. Das Pennsyl­va­nia­deut­sche unter­schei­det sich von anderen Minder­hei­ten­spra­chen der USA, da es noch weit verbrei­tet gespro­chen wird, ohne dass neue Zuwan­de­rer aus dem deutsch­spra­chi­gen Europa hinzukommen.

Die Amish sind die bekann­tes­te Gruppe, die das Pennsyl­va­nia­deut­sche noch als Haupt­spra­che verwenden. Wie die Menno­ni­ten stammen auch sie aus der Täufer­be­we­gung, die im 16. Jh. in Europa (haupt­säch­lich in den Nieder­lan­den und in der Schweiz) entstan­den ist. Aufgrund ihres Glaubens wurden sie verfolgt und waren generell unerwünscht. Aus diesem Grund sind viele in die USA ausge­wan­dert, wo sie heute immer noch zu finden sind. Für sie ist es wichtig, sich von der allge­mei­nen Gesell­schaft abzugren­zen, neue Techno­lo­gie so weit wie möglich zu vermeiden und ein einfaches Leben zu führen. Deswegen tragen sie selbst­ge­mach­te Kleidung und fahren Pferde­kut­schen. Darüber hinaus behielten sie ihre eigene Sprache über 300 Jahre bei, trotz inten­si­vem Kontakt mit Englisch (Fisher 2022).

Ich selbst wurde in einer amische Familie geboren und bin in Lancaster County, Pennsyl­va­nia, aufge­wach­sen, wo die größte Siedlung der Amish heutzu­ta­ge noch zu finden ist (etwa 44.000 Menschen; „Twelve Largest Amish Settle­ments, 2023“). Als ich 11 Jahre alt war, entschie­den sich meine Eltern aus der Gemeinde auszu­tre­ten. Daher war es mir möglich zu studieren und Forschung über diese deutsch-amerikanische Sprache, meine Mutter­spra­che, durch­zu­füh­ren. Ich schätze die Freiheit, die ich als Nicht­mit­glied dieser Gemeinde genieße. Aber wo die Amish sind und wo das Pennsyl­va­nia­deut­sche gespro­chen wird, war schon immer mein Zuhause und wird es auch immer bleiben. 

Abb. 2: Bilder von meinen Geschwis­tern und mir zu der Zeit als meine Familie noch zur amischen Gemeinde gehörte.

Die folgende Tonauf­nah­me beschreibt das erste Bild auf Pennsylvaniadeutsch:

Ich bin die Rose. Ich war Amisch gebore. Des iss en Pickter vun mei Bruder, zwee vun mei Schwesch­de­re, un mich. Ich hab noch zwee anri Schwesch­de­re. Wann ich en glee Meedli war, hen mer Paar Hunde ghat un mer hen als oft gleeni Puppies ghat. Sell war als really fun! Ich hab viel guti Memories von sell Zeit in mei Lewe. 

Ich bin die Rose. Ich wurde Amisch geboren. Das ist ein Foto von meinem Bruder, zwei von meinen Schwes­tern und mir. Ich habe noch zwei andere Schwes­tern. Als ich ein kleines Mädchen war, haben wir ein Paar Hunde gehabt, und wir haben damals oft kleine Welpen gehabt. Das hat sehr viel Spaß gemacht! Ich habe viele gute Erinne­run­gen an diese Zeit in meinem Leben.

Wenn man die Sprache hört, erkennt man sofort, dass sie eine deutsche Sprache ist. Man hört aber auch, dass die Ausspra­che sich vom Standard­deut­schen unter­schei­det. Deutlich wird auch, dass es verschie­de­ne englische Lehnwör­ter gibt, die im deutsch­spra­chi­gen Europa nicht zu finden sind (z. B. Puppies ‚Welpen‘ und Memories ‚Erinne­run­gen‘). Obwohl es immer mehr Kontakt mit dem Engli­schen in Europa und weltweit gibt, ist die Art von Sprach­kon­takt einfach ganz anders als die Situation mit Pennsyl­va­nia­deutsch, das in den USA gespro­chen wird.

Kommen wir zurück zu dem Zitat von Johann David Schöpf. Ist die Sprache „gebrochen“? Nein, sie hat eine komplette und eigene Grammatik und wird erfolg­reich angewen­det, um zu kommu­ni­zie­ren. Ist die Sprache ein Misch­masch zwischen Deutsch und Englisch? Nein. Es stimmt, dass sie viele Lehnwör­ter und andere Einflüsse aus dem Engli­schen hat (so wie jede andere Sprache, die in engem Kontakt mit einer anderen Sprache ist), aber die deutsche bzw. rhein­frän­ki­sche Herkunft bleibt deutlich sichtbar in der heutigen Sprache. Die Einflüsse aus dem Engli­schen sind lingu­is­tisch normal, syste­ma­tisch und begrenzt.

Wie Deutsch ist denn eigent­lich das Pennsyl­va­nia­deut­sche? Deutsch genug, um die gemein­sa­me Herkunft ganz deutlich erkennen zu können. Weil jedoch das Pennsyl­va­nia­deut­sche seine eigene Geschich­te hat, seine eigenen histo­ri­schen Entwick­lun­gen durch­mach­te und in einem ganz anderen Kontext existiert als die europäisch-deutschen Varie­tä­ten, ist es für moderne Pennsylvaniadeutsch-Sprechende meistens sehr schwierig, ohne Standard­deutsch­kennt­nis­se in Europa klarzu­kom­men. Auch in der Pfalz konnten sich meine Famili­en­mit­glie­der nicht ohne Kommu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­me mit den Pfälzern unter­hal­ten. Gemein­sam­kei­ten sind sehr leicht zu finden, aber die Ausspra­che, der Wortschatz, usw. sind einfach zu unter­schied­lich. Das Pennsyl­va­nia­deut­sche ist also eine deutsch­stäm­mi­ge, aber vor allem eine ameri­ka­ni­sche Sprache.

Literatur

Fisher, Rose (2022): Varieties of Pennsyl­va­nia Dutch: Postver­na­cu­lar or not so simple? In: Peterson, Elizabeth / Sippola, Eeva (Hrsg.): Selected Procee­dings of the 12th Workshop on Immigrant Languages in the Americas (WILA 12), BeLLS 13, S. 19–38. DOI: 10.15845/bells.v12i2.3824. CC-BY‑4.0.

Louden, Mark L. (2016): Pennsyl­va­nia Dutch: The Story of an American Language. Baltimore: Johns Hopkins Univer­si­ty Press.

Post, Rudolf (2019): Die areale Lexik im Mittel­deut­schen. In: Herrgen, Joachim / Schmidt, Jürgen Erich (Hrsg.): Sprache und Raum. Ein inter­na­tio­na­les Handbuch der Sprach­va­ria­ti­on. Band 4: Deutsch. Unter Mitarbeit von Hanna Fischer und Brigitte Ganswindt. Berlin/Boston: De Gruyter Mouton, S. 709–732.

Reed, Carroll E. / Seifert, Lester W. J. (1954): A lingu­i­stic atlas of Pennsyl­va­nia German. Marburg: W. J. Becker.

Wiesinger, Peter (1983): Die Eintei­lung der deutschen Dialekte. In: Besch, Werner [u. a.] (Hrsg.): Dialek­to­lo­gie. Ein Handbuch zur deutschen und allge­mei­nen Dialekt­for­schung. 2. Halbband. Berlin/New York: De Gruyter. [Abzeich­nung der Karte 47,4 publi­ziert in <www.regionalsprache.de>].

“Twelve Largest Amish Settle­ments, 2023.” Young Center for Anabap­tist and Pietist Studies, Eliza­beth­town College. http://groups.etown.edu/amishstudies/statistics/twelve-largest-settlements-2023/

Wer mehr über das Pennsyl­va­nia­deut­sche erfahren will, kann diese Quellen durchsuchen:

Pennsyl­va­nia Dutch: The Story of an American Language von Mark L. Louden: Ein Buch mit umfas­sen­den Infor­ma­tio­nen zu der Geschich­te, den Sprechen­den, der Literatur und der Forschung des Pennsylvaniadeutschen

https://padutch.net/ Eine Webseite von Mark L. Louden mit Infor­ma­tio­nen zu der Sprache und Ausspra­che und Aufnahmen durch die man die Sprache hören kann

https://www.padutchdictionary.com/ Ein Online-Wörterbuch

Hiwwe wie driwwe: Der Pennsyl­va­nia Reise­füh­rer von Michael Werner. Ein Buch geschrie­ben für Deutsch­spra­chi­ge, die mehr über die Pennsyl­va­nia­deut­sche in den USA lernen wollen

Diesen Beitrag zitieren als:

Fisher, Rose. 2024. Wie deutsch ist denn eigent­lich das Pennsyl­va­nia­deut­sche? In: Sprach­spu­ren: Berichte aus dem Deutschen Sprach­at­las 4(4). https://doi.org/10.57712/2024-04

Rose Arlene Fisher
Rose Arlene Fisher ist Doktorandin in German Linguistics and Language Science an der Pennsylvania State University. Von September 2022 bis Juli 2023 war sie als Junior Fellow am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas.