Moin, Grüß Gott, Tachchen, Seid gegrüßt und Hey, was geht! Unsere Sprache ist vielfältig: Ob Dialekt, Jugendsprache, Fachsprache, Alltagssprache oder feinstes Hochdeutsch – in Abhängigkeit zu Situation und unserem Gegenüber wählen wir bewusst die Sprachform aus, die uns am besten geeignet erscheint. Dabei können wir uns zwischen verschiedenen Varietäten entscheiden, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben und als kommunikative Ressourcen zielgenau einsetzen. Diese situationsadäquate Sprachverwendung muss jedoch zunächst eingeübt werden: Welche Formulierungen lassen sich sagen – aber nicht schreiben? Wie spreche ich in meiner Familie – aber nicht auf dem Amt? Wie weit reicht mein Dialekt? Und ist cringe noch Jugendsprache oder schon Alltagssprache?
Schüler*innen zu kompetenten Sprachnutzer*innen zu machen, ist das primäre Ziel des schulischen Deutschunterrichts. Neben der Ausbildung eines differenzierten Sprachgebrauchs fällt darunter auch die Reflexion über sprachliche und literarische Muster, um erfolgreiches kommunikatives Handeln zu ermöglichen. Hieraus ergibt sich als Aufgabe für die Sprachvariationsforschung, aktuelle Forschungsergebnisse in den schulischen Deutschunterricht zu transferieren, um einen fachlich und methodisch zeitgemäßen Fachunterricht zu gewährleisten. Nur so können die erforderlichen Kompetenzen erfolgreich angebahnt und differenziert ausgebildet werden.
Sprachvariation – was ist das?
Sprachliche Variabilität zeichnet sich dadurch aus, dass Sprecher*innen „einen Spielraum von (formalen) Möglichkeiten, mit der eine bestimmte Funktion […] vollzogen werden kann“, zur Verfügung haben (Spitzmüller 2022, S. 48). Es gibt unzählige Wege, kommunikative Ziele zu verfolgen und es ist die Aufgabe von Sprecher*innen, sich für eine konkrete sprachliche Umsetzung zu entscheiden. Damit ist das Prinzip sprachlicher Variation ein zentraler Gegenstand der Linguistik, bei dem untersucht werden kann, „warum, wann und zu welchem Zweck sprachliche Variation“ vorkommt (Spitzmüller 2022, S. 57).
Sprachliche Variation wird im Hinblick auf verschiedene Dimensionen unterschieden. So gibt es die raumbezogene Variation (z.B. Dialekte, Regiolekte, Stadtsprachen), die situationsbezogene Variation (z.B. Mediensprache, Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit), die gruppenbezogene Variation (z.B. Jugendsprache, Fachsprache) und die sprachkontaktinduzierte Variation (z.B. Anglizismen, Kiezdeutsch). Auch die historische Variation (z.B. Sprache des Mittelalters) ist relevant, um den aktuellen Sprachwandel verstehen und differenziert bewerten zu können (z.B. er backte vs. er buk).
Damit Sprecher*innen ihre Sprachformen möglichst situationsangemessen einsetzen können, ist es erforderlich, dass sie sich über die sprachliche Variation und ihre Steuerung bewusst werden. Dabei kommt dem schulischen Deutschunterricht eine zentrale Aufgabe zu: Er soll Schüler*innen dazu befähigen, verschiedene Varietäten und Register kompetent umzusetzen und die Wahl reflektiert und kritisch vorzunehmen, um die eigenen kommunikativen Handlungsziele zu erreichen.
Wie sehen die bildungspolitischen Rahmenbedingungen aus?
Die sprachliche Reflexion verschiedener Varietäten und Register ist in die bildungspolitischen Vorgaben auf Bundes- und Landesebene eingebunden. Die Inhalte des schulischen Deutschunterrichts werden im Wesentlichen durch die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) und landesspezifische Regelungen bestimmt. Dabei folgen die Bundesländer grundsätzlich der Vorgabe der KMK, Dialekte und andere Varietäten als Thema in der Schule zu behandeln. Diese Thematisierung ist in den Kompetenzbereich Sprache und Sprachgebrauch untersuchen eingebunden (vgl. Tophinke 2019, S. 4). In den KMK-Bildungsstandards von 2022 für den Ersten Schulabschluss (ESA) und Mittleren Schulabschluss (MSA) fallen unter diesen Kompetenzbereich das Ziel „sich mit sprachlicher Verständigung, sprachlicher Vielfalt und sprachlichen Strukturen auseinandersetzen und gezielt nutzen“, das wiederum in die Kernbereiche „Sprachliche Verständigung und sprachliche Vielfalt untersuchen“ sowie „Sprachliche Strukturen untersuchen und nutzen“ unterteilt ist (vgl. KMK Bildungsstandards 2022, S. 13). Für den Kompetenzbereich wird darüber hinaus spezifiziert (S. 36–37):
Die Schülerinnen und Schüler sind sich der Leistungen von Sprache als Kommunikationsmedium sowie der Bedingungen ihrer situations‑, adressaten- und intentionsangemessenen Verwendung bewusst. […] Die erworbenen Einsichten tragen zur Vertiefung ihrer Sprachbewusstheit und zur eigenen Sprachentwicklung bei.
Im Sinne von „Sprache im Gebrauch“ setzen sie sich dabei mit dem umfassenden Bereich menschlicher Verständigung, sprachlicher Variation und Mehrsprachigkeit auseinander.
Hierbei spielt die bereits beschriebene situative Angepasstheit der Sprachwahl eine zentrale Rolle. Diese soll die Sprachbewusstheit der Schüler*innen fördern und durch die Beschäftigung mit sprachlicher Variation und Mehrsprachigkeit forciert werden. Weiter spezifiziert wird dies im Bereich „Ausprägungen und Bedingungen sprachlicher Variation und Vielfalt“ (S. 39): Dort werden u.a. „Standardsprache, […] Dialekt, Regionalsprache; Mehrsprachigkeit“ genannt. Auch in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife 2012 ist der domänenspezifische Kompetenzbereich Sprache und Sprachgebrauch reflektieren festgelegt. Die Vorgaben auf grundlegendem Niveau sehen neben sprachkritischen Impulsen vor, dass Schüler*innen „Strukturen und Funktionen von Sprachvarietäten beschreiben“ können (S. 20).
Wie gelingt der Transfer „Wissenschaft → Schule“?
Die Thematisierung sprachlicher Variation stellt demnach eine wichtige, bildungspolitisch verankerte Anforderung an den schulischen Deutschunterricht dar. Für die Sprachvariationsforschung ergibt sich daraus der Auftrag, aktuelle Forschungsthemen, ‑methoden und ‑ergebnisse in die Schule zu transferieren. Dies gelingt einerseits über eine differenzierte, fachwissenschaftliche Ausbildung der Lehrkräfte und andererseits, indem entsprechende Unterrichtsmaterialien erstellt und schulrelevante Ressourcen verfügbar gemacht werden. Dabei kommt insbesondere den im Internet frei verfügbare Ressourcen wie z.B. Unterrichtskonzepte, Arbeitsblätter sowie digitale Sprachatlanten, Wörterbücher und Sprachkorpora ein besonderes Potenzial zu, da an ihnen zugleich medienbezogene Kompetenzen erworben werden können.
Die Plattform Sprachvariation@Schule
An dieser Stelle setzt die Plattform Sprachvariation@Schule an, die am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas (DSA) in Kooperation mit der Universität Rostock herausgegeben wird. Die Plattform macht es sich zum Auftrag, variationslinguistische Themenfelder sprachwissenschaftlich fundiert durch die Bereitstellung verschiedener Ressourcen in den Deutschunterricht zu tragen.
Abbildung 1: Sprachvariation@Schule: Startseite
Unterrichtsmaterialien
Kernstück der Plattform ist ein Repositorium für Unterrichtsmaterialien, die auf der Webseite frei zugänglich verfügbar sind. In der Reihe Sprachvariation@Schule stehen mehrere Unterrichtskonzepte zur Verfügung, die im Rahmen des Projekts erstellt und eingereicht wurden („Sprachvariation als Outfitwahl?“, „Jobanzeige im Dialekt“, „Groß- und Kleinschreibung im Wandel“). Die Materialien adressieren verschiedene Jahrgangsstufen und Schulformen und sind nach Variationsdimensionen systematisiert. Vor ihrer Veröffentlichung wurden die Unterrichtsmaterialien von einem Editorial Board geprüft, um eine hohe fachwissenschaftliche und fachdidaktische Qualität zu gewährleisten. Interessierte können selbstentwickelte Materialien einreichen und im Rahmen der Reihe publizieren. Daneben stehen weitere Lehrmaterialien auf der Webseite kostenlos zur Verfügung.
Abbildung 2: Sprachvariation@Schule: Unterrichtsmaterial
Schulbuchbibliografie
Ausgehend von den in Deutschland zugelassenen Schulbüchern für die Sekundarstufe I und II wurde eine umfassende Bibliografie von schulischen Unterrichtseinheiten zu sprachlicher Variation erarbeitet. Die einzelnen Lehrwerkseinheiten sind im Hinblick auf Bundesland, Jahrgangsstufe, Variationsdimension (z.B. raumbezogen, historisch, gruppenbezogen), Themen (z.B. Mittelalter, Fremdwörter, Familiensprache), sprachliche Systemebene (z.B. Wortschatz, Grammatik) und Medieneinsatz (z.B. Karten, Comics) verschlagwortet. Über die Filterfunktionen lassen sich leicht die passenden Lehrbucheinheiten zu gewünschten Themen finden. Aktuell umfasst der Katalog 77 Schulbucheinheiten.
Abbildung 3: Sprachvariation@Schule: Schulbücher
Lehr- und Lernmittelsammlung
Die Sammlung Sprachvariation@Schule des Recherche- und Dokumentationszentrums Deutscher Sprachatlas umfasst die thematisch einschlägigen sprachdidaktischen Publikationen sowie Lehr- und Lernmittel zur Thematisierung von Sprachvariation in der Schule und im DaF/DaZ-Unterricht. Daneben enthält die Sammlung auch Dialektspiele und weitere Materialien. Als virtuelle Sammlung ist sie online recherchierbar und kann vor Ort in der Bibliothek des Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas in Marburg eingesehen werden.
Abbildung 4: Sprachvariation@Schule: Sammlung
Weitere Online-Angebote zu sprachlicher Variation
Die Plattform führt in einer eigenen Rubrik weitere Online-Angebote zu sprachlicher Variation zusammen. Zum einen werden hier Webseiten verlinkt, die Sprachvariation im schulischen Kontext thematisieren. Darunter fallen zum Beispiel das Kompetenzzentrum für Niederdeutschdidaktik und SpraVive, die Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellen, aber auch Fachportale einzelner Bundesländer wie für Baden-Württemberg und Bayern. Daneben enthält die Linksammlung eine Liste von Online-Angeboten aus dem Bereich der Sprachvariationsforschung, die als digitale Ressourcen für den Deutschunterricht dienen können. Dazu gehören unter anderem ein interaktiver Zeitstrahl zur deutschen Sprachgeschichte, der Atlas zur deutschen Alltagssprache und das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Beide Linklisten lassen sich nach den verschiedenen Sprachvariationsdimensionen filtern.
Abbildung 5: Sprachvariation@Schule: Sprachvariation online
Außerschulische Lernorte
Mit der Zusammenstellung außerschulischer Lernorte erhalten Lehrkräfte die Möglichkeit, die Thematisierung sprachlicher Variation auch außerhalb des Schulgebäudes vornehmen zu können. Ob auf den Spuren der Brüder Grimm in der Grimmwelt Kassel oder bei der interaktiven Erkundung von Schrift im Deutschen Buch- und Schriftmuseum – verschiedenste Orte laden dazu ein, die Vielfalt der deutschen Sprache selbst zu erleben. In einer abwechslungsreichen Zusammenstellung werden neben Museen mit sprachbezogenen Dauerausstellungen auch aktuelle Sonderausstellungen und Workshops dargestellt. Aktuell wird die Übersicht der Lernorte in Form einer interaktiven Karte vorbereitet und zeitnah in einem eigenen Bereich der Plattform veröffentlicht.
Workshops & Fortbildungen
Die Plattform Sprachvariation@Schule wird von den wissenschaftlichen Gesellschaften Internationale Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD) und Gesellschaft für Germanistische Sprachgeschichte (GGSG) sowie dem Zentrum für Lehrkräftebildung der Philipps-Universität Marburg unterstützt. Dadurch ergibt sich eine enge Einbindung der Plattform sowohl in die wissenschaftliche Fachcommunity als auch in die Lehrkräftebildung. Mit Workshops zur Erstellung von Unterrichtsmaterialien für Fachwissenschaftler*innen einerseits und Fortbildungen für Lehrkräfte andererseits engagiert sich das Team von Sprachvariation@Schule für eine starke Verknüpfung von Wissenschaft und Schule.
Literatur
Kultusministerkonferenz (KMK) (2012): Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife. Berlin/Bonn, abrufbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_10_18-Bildungsstandards-Deutsch-Abi.pdf [letzter Zugriff am 20.10.2023].
Kultusministerkonferenz (KMK) (2022): Bildungsstandards für das Fach Deutsch Erster Schulabschluss (ESA) und Mittlerer Schulabschluss (MSA). Berlin/Bonn, abrufbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2022/2022_06_23-Bista-ESA-MSA-Deutsch.pdf [letzter Zugriff am 20.10.2023].
Spitzmüller, Jürgen (2022): Soziolinguistik. Eine Einführung. Berlin: Springer.
Tophinke, Doris (2019): Dialekte heute. In: Praxis Deutsch, 46/ 275, S. 4–13.