„Dann sagen Sie es doch einfach!” Wozu in öffentlichen Debatten Sprache thematisiert wird

Wer Polit-Talkshows wie Hart aber fair schaut oder die Debatten im Deutschen Bundestag (ausschnitts­wei­se) (mit)verfolgt, weiß, dass sich die Diskus­sio­nen (unter Politiker*innen oder zwischen Modera­ti­on und Politiker*innen) regel­mä­ßig auch um Wortver­wen­dun­gen in der Politik und die politi­sche Kommu­ni­ka­ti­on selbst drehen. Dabei wird der eigene Sprach­ge­brauch erläutert, die Wortwahl (häufig unter dem Druck der Öffent­lich­keit) im Nachhin­ein gerecht­fer­tigt oder zurück­ge­nom­men oder wieder­ge­ge­be­ne Redeteile werden als uneigene Rede gekenn­zeich­net. Oftmals ist es aber gerade auch die Kommu­ni­ka­ti­ons­wei­se der politi­schen Gegen­sei­te, die zum Ausgangs­punkt für Kritik an Person(engruppe), ihrer Sprach­ver­wen­dung und vertre­te­nen politi­schen Stand­punk­ten auf öffent­li­chen Bühnen der Politik genommen wird.

Die folgenden beiden Beispiele, die einer Bundes­tags­de­bat­te (Beleg 1) und einer Hart aber fair-Folge (Beleg 2) entstam­men, sollen dies verdeut­li­chen. Sie gehören thema­tisch zu einer Diskurs­pha­se innerhalb der bundes­deut­schen Einwan­de­rungs­de­bat­te, die ab Sommer 2015 unter der Bezeich­nung Flüchtlingskrise öffent­lich geführt wurde.

Christoph de Vries (CDU/CSU): Es gibt kein promi­nen­tes Mitglied Ihrer Partei, das sich nicht schon abfällig und diffa­mie­rend über Muslime in Deutsch­land geäußert hat. Damit verlassen Sie immer wieder den Boden konstruk­ti­ver Religi­ons­kri­tik, wie sie auch in Deutsch­land geübt werden muss, Herr Kollege Baumann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord­ne­ten der SPD und der LINKEN) Sinnbild­lich dafür ist der Ausspruch von Alice Weidel – man muss das immer wieder wieder­ho­len –, die hier gesagt hat: Burkas, Kopftuch­mäd­chen und alimen­tier­te Messer­män­ner und sonstige Tauge­nicht­se werden unseren Wohlstand, das Wirtschafts­wachs­tum und vor allem den Sozial­staat nicht sichern. (Beifall bei Abgeord­ne­ten der AfD)
(DB 19/233, 29963, 10.06.2021, Min 1:00–1:35)

In Beleg 1 wird ein Ausspruch Alice Weidels angeführt, um einen Beleg für die Kritik an der AfD-Fraktion zu liefern, nach der sich die Partei­mit­glie­der regel­mä­ßig abwertend und diffa­mie­rend über Muslime in Deutsch­land äußerten. Mit der Kritik am kommu­ni­ka­ti­ven Handeln werden dabei auch die Sprachverwender*innen anhand ihrer politi­schen Sicht­wei­sen negativ beurteilt, die sich, so wird von den Kritiker*innen angenom­men, im Sprach­ge­brauch zeigen bzw. die kommu­ni­ka­tiv ausge­drückt werden. Als kritik­wür­dig im wieder­ge­ge­be­nen Ausspruch erschei­nen dabei die zur Perso­nen­be­zeich­nung angeführ­ten Lexeme Burkas, Kopftuch­mäd­chen und alimen­tier­te Messer­män­ner und sonstige Tauge­nicht­se. Dabei wird das Kleidungs­stück Burka pars pro toto für die Personen verwendet, die es tragen. Als abwertend und diffa­mie­rend können zudem die Kompo­si­tums­for­men Kopftuch­mäd­chen und Messer­män­ner sowie die negativ evalu­ie­ren­de Perso­nen­re­fe­renz sonstige Tauge­nicht­se angesehen werden.

Im Folgenden (Beleg 2) wird ein Ausschnitt aus der Polit-Talkshow Hart aber fair angeführt, der als gesprächs­ana­ly­ti­sches (Basis-)Transkript nach GAT 2 (Selting et al. 2009) präsen­tiert wird. Gemäß dieser Transkrip­ti­ons­kon­ven­tio­nen wird gespro­che­ne Sprache in kürzeren Abschnit­ten (Intona­ti­ons­phra­sen) chrono­lo­gisch notiert sowie besondere Aspekte wie Betonun­gen (geSCHICH­te), Pausen (0.3 Sek.), hörbares Atmen (hier: °h für hörbares Einatmen), Simult­an­sprech­pha­sen durch überein­an­der­ste­hen­de eckige Klammern und die Tonhö­hen­be­we­gun­gen am Ende einer Intona­ti­ons­phra­se (hier: – für gleich­blei­bend, ; für leicht fallend, , für leicht steigend) vermerkt.1

Beleg 2: Ausschnitt aus Hart aber fair, 31.08.2015, Min 33:34 – 33:50; Diskus­si­ons­se­quenz zwischen Simone Peter (SP) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Joachim Herrmann (JH) (CSU) und Frank Plasberg (FP) (Moderator) als Gesprächstranskript

In der Talkshow­sequenz, die in Beleg 2 präsen­tiert wird, wird Kritik an sprach­li­chen Mitteln einge­setzt, um inhalt­li­che und politi­sche Kämpfe auszu­tra­gen und gegne­ri­schen politi­schen Vorstel­lun­gen zu wider­spre­chen. Von der GRÜNEN-Politikerin werden die als Romalager (Z. 05) bezeich­ne­ten Unter­künf­te (Z. 02) für Menschen aus dem Westbal­kan (Z. 03) mit dem Hinweis auf die deutsche Geschich­te (Z. 06) kriti­siert. Damit bezieht die Spreche­rin ebenso Position zur politi­schen Praktik, solche Aufent­halts­or­te für bestimmte Bevöl­ke­rungs­grup­pen zu schaffen, und setzt diese ins Verhält­nis zur natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Vergan­gen­heit Deutsch­lands, was durch den zweima­li­gen Verweis auf Deutsch­lands Geschich­te und das Wort Lager2 sprach­lich umgesetzt wird. Der kritische Hinweis auf die Nähe zu im NS-Deutschland etablier­ten (sprach­li­chen und außer­sprach­li­chen) Praktiken fungiert dabei als Morali­sie­rungs­stra­te­gie, die die vertre­te­ne Position und die ihr zugrun­de­lie­gen­den Werte als richtig und unstrit­tig darstellt (vgl. Felder & Müller 2022: 246; Völker 2024: 95–96).

Auch mittels Aussagen wie der im Beitrags­ti­tel angeführ­ten Äußerung Dann sagen Sie es doch einfach! kann das Ziel verfolgt werden, die Sprach­ver­wen­dung des*r Diskussionspartners*in bzw. des*r Kommunikationsgegners*in als defizitär auszu­wei­sen oder als kritik­wür­di­ge Strategie, etwa der Verschleie­rung von Sachver­hal­ten oder des Verwen­dens umständ­lich kompli­zier­ter oder vager Formu­lie­run­gen, zu präsen­tie­ren, wie im folgenden Ausschnitt deutlich wird: 

Beleg 3: Ausschnitt aus Hart aber fair, 18.09.2017, Min 56:02 – 56:32; Diskus­si­ons­se­quenz zwischen Joachim Herrmann (JH) (CSU) und Frank Plasberg (FP) (Moderator)

Solche kriti­schen Sprach­the­ma­ti­sie­run­gen innerhalb politi­scher Ausein­an­der­set­zun­gen erfüllen in massen­me­dia­len Settings der Kommu­ni­ka­ti­on zu gesell­schaft­lich relevan­ten Themen vielfäl­ti­ge Funktio­nen, die über die Ebene der Sprach(gebrauchs)bewertung hinaus­ge­hen, um die sprach­lich kodierten Sachver­hal­te und politi­schen Forde­run­gen oder die kommu­ni­zie­ren­den politi­schen Akteur*innen anhand ihrer solcher­ma­ßen sprach­lich zur Geltung gebrach­ten Sichtweisen/Einstellungen/Ideologien zu bewerten und dies mit großer Aufmerk­sam­keit, prägnant – und oftmals auf unter­halt­sa­me3 Weise – zu tun, wie das Lachen und der Applaus aus dem Publikum in Beleg 3 zeigen (vgl. Völker 2023a: 63–65). Anhand der pointier­ten sprach­li­chen Beispiele, wie der kriti­sier­ten Perso­nen­be­zeich­nun­gen in Beleg 1, kann damit öffent­lich Sagbares und Unsag­ba­res verhan­delt werden. Dabei positio­nie­ren sich die politi­schen Diskursakteur*innen ebenso zuein­an­der, indem sie Einigkeit oder Uneinig­keit für das (wählende) Publikum demons­trie­ren. Diese Ausrich­tun­gen der Akteur*innen sind zudem in Insze­nie­rungs­hand­lun­gen zur positiven Darstel­lung der eigenen Person oder Partei und negativen Fremd­dar­stel­lung politi­scher Gegner*innen einge­bun­den (vgl. Völker 2023b; Völker/Spieß 2023).

Im Disser­ta­ti­ons­pro­jekt der Autorin dieses Beitrags werden die formalen und funktio­na­len Aspekte öffentlich-politischer Sprach(gebrauchs)thematisierungen polito- und diskurs­lin­gu­is­tisch analy­siert; dieser Blog-Beitrag bietet dazu einen kurzen Einblick. Dabei werden formale Bestim­mungs­stü­cke zur pragma­ti­schen Beschrei­bung sprach­the­ma­ti­sie­ren­der Belege erarbei­tet, wozu etwa die Größe der sprach­li­chen Bezugs­ein­heit, die (kritisch) kommen­tiert wird, zählt. Diese gehen in die funktio­na­len Poten­zia­le der Sprach(gebrauchs)thematisierungen ein, die als kommu­ni­ka­ti­ve Verfahren in der politi­schen Kommu­ni­ka­ti­on und Inter­ak­ti­on vor einem Publikum neben Sprach(gebrauchs)kritik insbe­son­de­re auch in inhalt­li­che und personale Kritik­for­mu­lie­run­gen einge­bun­den sind. Sprach­the­ma­ti­sie­run­gen sind (sprach-)wissenschaftlich auch deshalb inter­es­sant, weil sie an der Schnitt­stel­le von Diskurs, Akteur*innen und Gesell­schaft stehen (vgl. die Arbeiten der Düssel­dor­fer Schule, u. a. in Jung/Wengeler/Böke 1997). So kann etwa die Frage, ob Ausdrücke zu einer bestimm­ten Zeit in einer Gesell­schaft als strittig gelten oder sich etabliert haben, Auskunft über zugrun­de­lie­gen­de Wissens­struk­tu­ren und Denkmus­ter der Diskursakteur*innen geben. Daten­grund­la­ge der diskurs- und gesprächslinguistisch infor­mier­ten polito­lin­gu­is­ti­schen Unter­su­chung ist ein Korpus aus Parla­ments­de­bat­ten und Hart aber fair-Folgen aus den Jahren 2015 bis 2021 zum Diskurs um den Themen­kom­plex Einwan­de­rung, Flucht und Asyl. Die Studie verfolgt das Ziel, das Wie und Wozu öffent­li­cher politi­scher Thema­ti­sie­run­gen von Sprachgebrauch(sweisen) in der kontro­ver­sen Migra­ti­ons­de­bat­te zu beschrei­ben. Der Projekt­ab­schluss ist für 2025 geplant.

  1. Genauere Erläu­te­run­gen zur Transkrip­ti­on nach GAT 2 können im Sprachspuren-Beitrag von Giessler et al., „Schwangere beraten“ nachge­le­sen werden. ↩︎
  2. Vgl. den Eintrag zum Lexem Lager im „Wörterbuch des Unmenschen“ von Stern­ber­ger, Storz & Süskind (1962: 70–74), die zentrale Vokabeln aus der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus, ihre Bedeu­tun­gen und strate­gi­schen Verwen­dungs­wei­sen beschrie­ben haben. ↩︎
  3. Die Unter­halt­sam­keit von Sprach(gebrauchs)thematisierungen beschreibt als analy­ti­sche Kategorie die Funktion kommu­ni­ka­ti­ver Handlun­gen oder sprach­li­cher Zeichen, unter­hal­tend zu sein, indem sie die Aufmerk­sam­keit der Rezipient*innen erlangen können.  ↩︎

Quellen

DB (= Deutscher Bundestag). Steno­gra­fi­scher Bericht. 19. Wahlpe­ri­ode. Berlin 2017–2021. https://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/ <29.08.2023>.

Hart aber fair. 31.08.2015. „800.000 Flücht­lin­ge – schafft Deutsch­land das?“, Das Erste.

Hart aber fair. 18.09.2017. „Der Bürger­check zur Wahl: Was muss sich ändern bei Sicher­heit und Zuwan­de­rung?“, Das Erste.

Literatur

Felder, Ekkehard / Marcus Müller (2022): Diskurs korpusprag­ma­tisch. Annota­ti­on, Kollabora­tion, Deutung am Beispiel von Praktiken des Morali­sie­rens. In: Kämper, Heidrun / Albrecht Plewnia (Hg.): Sprache in Politik und Gesell­schaft. Perspek­ti­ven und Zugänge. Berlin / Boston: De Gruyter. DOI: 10.1515/9783110774306

Jung, Matthias / Martin Wengeler / Karin Böke (Hg.) (1997): Die Sprache des Migra­ti­ons­dis­kur­ses. Das Reden über „Ausländer“ in Medien, Politik und Alltag. Opladen: Westdeut­scher Verlag.

Selting, Margret / Peter Auer / Dagmar Barth-Weingarten / Jörg R. Bergmann / Pia Bergmann / Karin Birkner et al. (2009): Gesprächs­ana­ly­ti­sches Transkrip­ti­ons­sys­tem 2 (GAT 2). In: Gesprächs­for­schung — Online-Zeitschrift zur verbalen Inter­ak­ti­on 10, 353–402.

Stern­ber­ger, Dolf / Gerhard Storz / W. E. Süskind (1962): Aus dem Wörter­buch des Unmen­schen. München: Deutscher Taschen­buch Verlag.

Völker, Hanna (2024): Kontro­ver­se Versuche der Vereindeu­ti­gung. Öffentlich-politische Sprach­the­ma­ti­sie­run­gen im Einwan­de­rungs­dis­kurs. In: Thema­Tal­kers (Berlage, Lara / Julian Engelken / Peter Ernst / Jan Hensellek / Lara Herford / Louis Hypius / Sargis Poghosyan / Angelina Schellin / Susanne Sophie Schmal­wie­ser / Ingo H. Warnke (Hgg.): Debat­tie­ren, Opponie­ren, Protes­tie­ren. Inter­dis­zi­pli­nä­re Perspek­ti­ven auf sprach­li­che Praktiken des Wider­spre­chens. OpenAc­cess U Bremen, 90­–99. DOI: 10.26092/elib/3130.

Völker, Hanna (2023a): Politi­sche Vereindeu­ti­gungs­ver­su­che. Zur Funktion von Sprach­the­ma­ti­sie­run­gen in kontro­ver­sen Diskursen. In: Aptum, Zeitschrift für Sprach­kri­tik und Sprach­kul­tur 19 (1), 49–68. DOI: 10.46771/9783967693713_5.

Völker, Hanna (2023b): “Deshalb verweise ich auf die Wortwahl” – Zur Funktio­na­li­tät parla­men­ta­ri­scher Sprach­the­ma­ti­sie­run­gen im Kontext sprach­li­cher Grenz­zie­hungs­prak­ti­ken. In: Merten, Marie-Luis / Susanne Kabatnik / Kristin Kuck / Lars Bülow / Robert Mroczyn­ski (Hg.): Sprach­li­che Grenz­zie­hungs­prak­ti­ken. Analy­se­fel­der und Perspek­ti­ven (Reihe Studien zur Pragmatik, 5). Tübingen: Narr, 25–45. DOI: 10.24053/9783823395164.

Völker, Hanna / Constanze Spieß (2023): “Wir reden über die wie über Ungezie­fer” – Sprach­li­che Positio­nie­rungs­prak­ti­ken im Migra­ti­ons­dis­kurs. In: Dang-Anh, Mark (Hg.): Politi­sches Positio­nie­ren. Sprach­li­che und soziale Praktiken. (Reihe Akade­mie­kon­fe­ren­zen, 33). Heidel­berg: Univer­si­täts­ver­lag Winter, 247–268. DOI: 10.33675/2023-82538544.

Diesen Beitrag zitieren als:

Völker, Hanna. 2025. „Dann sagen Sie es doch einfach!” Wozu in öffent­li­chen Debatten Sprache thema­ti­siert wird. Sprach­spu­ren: Berichte aus dem Deutschen Sprach­at­las 5(2).

Hanna Völker
Hanna Völker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der AG Pragmalinguistik am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft.