1. Einleitung
Ob politische Meinungsfreiheit in einer freiheitlichen Demokratie bestimmte Grenzen hat, ist immer wieder Gegenstand öffentlich-politischer Diskurse. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich Äußerungen auf Bevölkerungsgruppen beziehen und diese in ihrer Gesamtheit herabsetzen und verunglimpfen. Aus juristischer Perspektive ist hier der Paragraph 130 des Strafgesetzbuches relevant, in dem der Tatbestand der Volksverhetzung geregelt wird:
„(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ […] (Strafgesetzbuch §130)
Das Recht auf freie Meinungsäußerung als eines der Grundpfeiler einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist dagegen in Artikel 5, Absatz 1, des Grundgesetzes geregelt:
„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ (Grundgesetz, Artikel 5)
Zweifelsohne ist die Frage, ob Äußerungen noch durch Artikel 5 des Grundgesetzes auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind, oder als Volksverhetzung im Sinne des Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches gelten, ein genuiner Gegenstand der Rechtsprechung. Aber auch die Politikwissenschaft und in jüngster Zeit die Linguistik beschäftigen sich mit der so genannten Hassrede. Stellt die Politikwissenschaft dabei eher die Frage, „inwiefern Regulierungen des Ausdrucks von Hassrede mit bestimmten normativen Vorstellungen über die liberale Demokratie verträglich sind […]“ (Meibauer 2013: 8) und damit die Frage nach der Beschränkung von Redefreiheit in den Mittelpunkt, so fragt die Linguistik, wie sich Hassrede sprachlich manifestiert und welche Funktionen sie in der politischen Kommunikation hat. Unter Hassrede „wird im Allgemeinen der sprachliche Ausdruck von Hass gegen Personen oder Gruppen verstanden, insbesondere durch die Verwendung von Ausdrücken, die der Herabsetzung und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen dienen.“ (Meibauer 2013: 1).
Hassrede ist immer auch Ausdruck einer polarisierenden diskursiven Strategie. Spätestens seit 2015 ist es vor allem die Migrations- und Integrationspolitik und die damit verbundene Innen-Außen-Polarisierung (Eingesessene vs. Migranten), die im politischen Diskurs eine zentrale Rolle spielt (vgl. Mau/Lux/Westheuser 2023: 47ff.). Hassrede zielt im Kontext der Innen-Außen-Polarisierung auf die Gruppe der Migrant*innen und ist ein charakteristisches Merkmal rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien und Gruppierungen. Sie kann unterschiedliche sprachliche Formen annehmen, die von direkter Hassrede bis hin zu indirekter Hassrede verlaufen kann, wobei sich letztere als diskursive Strategie unter anderem durch „kalkulierte Ambivalenz“ (Wodak 2020: 50) auszeichnet. Äußerungen dieser Art haben mehr als eine Bedeutung, müssen erst durch den Kontext pragmatisch angereichert werden und richten sich an unterschiedliche Gruppen. Da das wörtlich Gesagte und das Gemeinte auseinanderklaffen, können die Emittent*innen die Verantwortung für das eigentlich Intendierte leugnen. Im strafrechtlichen Sinne ist dies von besonderer Bedeutung, da bei mehrdeutigen Äußerungen die möglicherweise vorhandene nicht strafrechtlich relevante Deutungsvariante bei der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt wird.
Ein anschauliches Beispiel hierfür ist der Fall eines NPD-Wahlplakats zur Europawahl 2019. Das Wahlplakat wurde zunächst von zwei Gerichten als volksverhetzend gemäß Paragraph 130 StGB eingestuft, um dann in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.4.2023 als noch von der freien Meinungsäußerung gedeckt bewertet zu werden. Es soll zunächst auf die juristischen Bewertungen des Falls eingegangen werden, um vor diesem Hintergrund das Wahlplakat aus linguistischer Perspektive zu analysieren.
2. Das NPD-Wahlplakat und seine juristische Einordnung
Im Wahlkampf zur Europawahl 2019 hatte die NPD u. a. in Mönchengladbach Wahlplakate mit dem Text Migration tötet! aufgehängt. Das Wahlplakat zur Europawahl 2019 (Abb.1) zeigt in seinem rechten Drittel, das einen roten Hintergrund hat, mittig die Abkürzung des Parteinamens NPD in weißer Schrift. Unterhalb des Parteinamens findet sich der ebenfalls in weißer Schrift gedruckte Text Widerstand – jetzt –. Im linken, zwei Drittel des Plakates umfassenden Teil des Plakats sind auf schwarzgrauem Hintergrund verschiedene Ortsnamen deutscher Städte und Gemeinden zu sehen, die jeweils durch Kreuze getrennt werden. Im Vordergrund ist unter der in Rot gedruckten Headline Stoppt die Invasion: in weißer Schrift und einem deutlich größeren Schriftgrad der Text Migration Tötet! zu sehen, wobei Tötet! unterhalb von Migration! steht und nochmals einen höheren Schriftgrad aufweist.
Die Stadt Mönchengladbach ließ die Plakate abhängen, da sie ihrer Meinung nach den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllten. Die NPD klagte dagegen, das Verwaltungsgericht Düsseldorf und das westfälische Oberverwaltungsgericht in Münster gaben der Stadt Mönchengladbach Recht. In seiner Urteilsbegründung stellt das Oberverwaltungsgericht Münster fest, dass das Wahlplakat „Migranten generell mit Mördern gleichsetzt und hierdurch dieser Gruppe generell einen sozialen Achtungsanspruch abspricht“ (OVGNRW: Absatz 134). Die „zentrale Botschaft ‚Migration tötet‘ lasse […] allein die Auslegung zu, dass die angesprochenen Personen in ihrer Gesamtheit eine direkte Gefahr für Deutsche seien“ (OVGNRW: Absatz 137). Zwar ziele „Migration tötet“, so das OVGNRW, „auf den Vorgang der Migration als solchen und nicht auf Personen ab“ (OVGNRW: Absatz 126), doch es sei davon auszugehen, dass nicht der Migrationsvorgang als solcher gefährlich sei, sondern alle in Deutschland lebenden Migranten gemeint seien. Das Wahlplakat könne nicht „im Sinne einer Kritik an der Migrationspolitik verstanden werden, sondern generalisiert […] die geschehenen Taten erkennbar in Bezug auf die Gruppe der gesamten Migranten“ (OVGNRW: Absatz 127). Auch die Aufzählung von Ortsnamen als vermeintliche Tatorte lasse nicht die Einschränkung auf eine bestimmte Personengruppe erkennen, sondern erwecke den Eindruck, „die Aufzählung lasse sich (unendlich) fortsetzen; der Kreis der Taten sei als jedenfalls größer als dargestellt“ (OVGNRW: Absatz 125). Der volksverhetzende Gehalt einer Wahlwerbung könne in diesem Fall auch am Parteiprogramm NPD bzw. an ihrer inneren Haltung festgemacht werden, „wenn jedenfalls dieser dauerhafte Kern des Parteiprogramms dem Wahlbürger als Adressaten so präsent ist, dass er die Aussage auch unter Berücksichtigung dieses Wissens auslegen und verstehen muss“ (OVGNRW: Absatz 129). So gelangt das OVGNRW zu dem folgenden Schluss:
„Das Zusammenspiel des Wortlauts des Plakats ‚Migration tötet‘ und ‚Invasion stoppen‘ lässt nur eine Auslegung zu, die eine bestimmte Bevölkerungsgruppe als Teil einer Invasion, die tötet, brandmarkt und erfüllt den Tatbestand des § 130 Abs. 1 StGB.“ (OVGNRW: Absatz 127)
Während das OVGNRW die Intention der NPD, eine Bevölkerungsgruppe in ihrer Gesamtheit herabzusetzen, als Grundlage für ihre Bewertung des Wahlplakats als volksverhetzend heranzieht, ist für die nächste Instanz, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, nicht die Intention der NPD entscheidend, sondern der „objektive Sinn“, den eine Äußerung „nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums […]“ (BVerwG: Absatz 35) hat. Liegen mehrere Bedeutungsvarianten vor, dann sei zudem diejenige Variante zugrunde zu legen, die strafrechtlich irrelevant ist (vgl.BVerwG 2023: Absatz 35). So sei das Wahlplakat der NPD durch die Meinungsfreiheit gedeckt, da es sich „objektiv als mehrdeutig erweist“ (BVerwG: Absatz 35), und als verkürzte und zugespitzte Kritik an der Migrationspolitik der Bundesregierung angesehen werden könne, die nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle (vgl. BVerwG: Absatz 32). Das BVerwG weist auf die Notwendigkeit der „Berücksichtigung eines Wahlkampfs als Begleitumstand“ hin und zwar „in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Äußerung – wie hier auf einem Wahlplakat – ersichtlich ein Anliegen in nur schlagwortartiger Form zusammenfasst“ (BVerwG: Absatz 32). Einen Einbezug des NPD-Parteiprogramms lehnt das BVerG jedoch im Gegensatz zu den beiden Vorinstanzen ab, da den Rezipient*innen das Wissen um die parteiliche Programmatik nicht unterstellt werden könne (vgl. BVerwG: Absatz 36).
3. Der Fall aus linguistischer Perspektive
Dass die juristischen Bewertungen des NPD-Wahlplakats unterschiedlich ausfallen, ist vor allem das Ergebnis der anfangs erwähnten kalkulierten Ambivalenz bzw. der Divergenz zwischen wörtlich Gesagtem und Gemeintem und einer referentiellen Unterbestimmtheit, die auf der Ebene des Gesagten keine eindeutige Festlegung auf die Gesamtheit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zulässt.
Die der Urteilsbegründung der beiden ersten Instanzen zugrunde liegenden Auffassung, die von der Intention und damit der tatsächlich beabsichtigten Bedeutung des Wahlplakats ausgeht, ist noch am ehesten mit dem Bedeutungsbegriff einer pragmatisch ausgerichteten Linguistik kompatibel. Demnach etabliert sich Bedeutung in der sprachlichen Kommunikation und ist das Ergebnis eines intentionalen Äußerungsaktes seitens der Emittent*innen und einer Rekonstruktionsleistung seitens der Rezipient*innen, die in konkreten Kommunikationssituationen auf der Grundlage der Semantik der verwendeten Ausdrücke realisiert wird. Insbesondere in der politischen Kommunikation ist das Herausfiltern eines „objektiven Sinns“ kaum möglich, da es gerade im Wahlkampf darum geht, Meinungen und Einstellungen mit Hilfe des Ungesagten und nur Mitgemeintem zu transportieren und zu beeinflussen. Eindeutige Festlegungen zu vermeiden und sich auf das nur Gesagte, aber vermeintlich nicht Gemeinte, zurückzuziehen, kann für die politischen Akteure ein strategischer Vorteil sein. Zudem lässt Vagheit in der Ausdrucksweise mehr Spielraum für Interpretationsmöglichkeiten seitens der Wähler*innen, die die nur mitgemeinten Leerstellen auf der Grundlage ihrer eigenen politischen Einstellungen füllen können. Die von rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppierungen gewählte Strategie der kalkulierten Ambivalenz zeichnet sich dadurch aus, dass sich ihre Botschaften gleichzeitig an mehrere Gruppen in der Bevölkerung richtet, was eine eindeutige Lesart möglicherweise erschwert.
Auf dem NPD-Wahlplakat werden Migrant*innen auf der Ebene des wörtlich Gesagten weder benannt noch als Gruppe in ihrer Gesamtheit kategorisiert, sondern nur auf der Ebene des Ungesagten, aber Gemeinten. Hassrede erfolgt hier also indirekt. Dies betrifft sowohl die zentralen textuellen Bestandteile des Plakats (Stoppt die Invasion: Migration tötet!) als auch die Bildelemente (Ortsnamen mit Kreuzen). Um dieses Phänomen zu analysieren und zu beschreiben, kann man auf die von Grice ([1975] 1989: 249f.) formulierten Maximen zurückgreifen. Grice stellt Maximen auf, an die sich die Beteiligten unter rationalen Gesichtspunkten halten: die Wahrheit sagen (Qualitätsmaxime), die erwartete Informationsmenge geben, nicht zu viel und nicht zu wenig sagen (Quantitätsmaxime), nur zum Thema Relevantes sagen (Relevanzmaxime) und sich klar und verständlich ausdrücken (Modalitätsmaxime). Die Maximen können verletzt werden, was zu Schlussfolgerungsprozessen, so genannten Implikaturen, führt. Das Plakat verletzt vor allem die Maxime der Quantität, da es auf der Ebene des Gesagten nicht ausreichend Informationen über Art und Umfang der gemeinten Gruppe der Migrant*innen gibt. Auch die Ortsnamen mit den Kreuzen als vermeintliche Tatorte lassen durchaus den Schluss zu, die Liste ließe sich um eine unbestimmte Zahl weiterer Namen erweitern. Die Verletzung der Quantitätsmaxime korrespondiert mit einer auf der Ebene des Gesagten uneindeutigen Referenz. Referenz ist die Bezugnahme auf Ausschnitte der Welt mit Hilfe sprachlicher Ausdrücke und referentielle Unterbestimmtheit liegt dann vor, wenn das Gesagte, um vollständig erfasst zu werden, um etwas ergänzt werden muss, sei es um etwas Spezifischeres oder Unspezifischeres. Stoppt die Invasion lässt auf der Ebene des Gesagten offen, wer die so genannte Invasion stoppen soll und vor allem von wem diese ausgeht. Gemeint sind natürlich Migrant*innen, die durch die Kontextualisierung mit Invasion eine eindeutige Herabsetzung erfahren. Wenn die NPD von „Invasion“ spricht, setzt sie voraus, dass dieser Sachverhalt gegeben ist, da ohne diese Voraussetzung (eine so genannte Existenzpräsupposition) alle weiteren Aussagen sinnlos wären. Die Semantik von Invasion lässt sich mit einer Trias aus denotativer (begriffliche Bedeutung, die die Eigenschaften des Denotats bzw. Referenzobjektes beschreibt), evaluativer Bedeutung (wertende Bedeutung) und deontischer Bedeutung (Sollens- bzw. Nicht-Sollens-Bedeutung) beschreiben. Invasion bezeichnet ʻden Einfall, das illegale, feindliche Eindringen militärischer Einheiten in fremdes Gebiet’, es bewertet diesen Vorgang negativ und fordert dazu auf, diesen Vorgang zu bekämpfen bzw. einzudämmen. Diese Handlungsaufforderung wird verstärkt durch die Einbettung von Invasion in einen Aufforderungssatz mit Verb-Erst-Stellung sowie das Verb stoppt. Der abschließende Doppelpunkt verweist kataphorisch auf das folgende Migration tötet!, das so als Argument für die Handlungsaufforderung dient. Migration tötet! verstößt auf der Ebene des wörtlich Gesagten gegen die Maxime der Modalität (der Migrationsvorgang als solcher ist nicht gemeint) und aufgrund seiner referentiellen Unterbestimmtheit gegen die Maxime der Quantität. Gemeint sind Migrant*innen, die in Deutschland leben und denen in ihrer Gesamtheit unterstellt wird, Deutsche zu töten. Genau diese Schlussfolgerung aber, nämlich dass „nur die Gruppe der in Deutschland lebenden Migranten gemeint sein“ (BVerwG: Absatz 33) könne, wird vom BVerwG Leipzig in dieser Ausschließlichkeit bezweifelt.
Abschließend soll noch kurz auf die unterschiedliche Auffassungen der Gerichte bezüglich der Berücksichtigung des Wahlprogramms der NPD bzw. des Wahlkampfs insgesamt bei der Auslegung des Wahlplakats eingegangen werden. Wahlkämpfe sind Phasen verdichteter Politik, in denen eine Konzentration auf Slogans und Schlagwörter stattfindet und bestimmte Themen und Personen im Vordergrund stehen (vgl. Girnth 2023: 440). Innerhalb des Bereichs der öffentlich-politischen Kommunikation stellt der Wahlkampf einen Teilbereich dar, der durch ein spezifisches Kommunikationsgeflecht, die Wahlkampfkommunikation, geprägt ist. Bemerkenswerterweise verweist das BVerwG auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Wahlkampfsituation, lehnt aber den Einbezug des Parteiprogramms der NPD ab. Eine solche Auffassung verkennt aber, dass keine Äußerung im Wahlkampf isoliert stattfindet, sondern immer Teil eines diskursiven Geflechtes ist. So wird die Vernetzung der Texte im Wahlkampf besonders am Parteiprogramm und besonders am Wahlprogramm deutlich, das als Prätext für zahlreiche Texte der eigenen Wahlkampagne fungiert, also auch für die Wahlplakate der eigenen Partei (vgl. Girnth 2023: 442, vgl. auch Geier 2013: 277).
Insgesamt gesehen ist das NPD-Wahlplakat ein Beispiel für indirekte Hassrede, die sich durch referentielle Unterbestimmtheit und die Divergenz von wörtlich Gesagtem und Gemeintem auszeichnet. Die unterschiedlichen juristischen Bewertungen als volksverhetzend oder als von der Meinungsfreiheit gedeckt zeigen, dass Vagheit im Ausdruck und kalkulierte Ambivalenz eine erfolgreiche, hier rechtsextreme Strategie darstellen, da sie Rückzugsmöglichkeiten auf eine strafrechtlich irrelevante Lesart ermöglichen. Die Botschaft der NPD, Migrant*innen auf kategoriale Weise herabzusetzen, ist klar erkennbar. Sie richtet sich vor allem an die eigene Klientel, die diese Botschaft erkennt und dadurch die eigenen Einstellungen bekräftigt sieht.
Literatur
Bundesverwaltungsgericht Leipzig (BVerwG), 6 C 8.21, Urteil vom 26.4.2023. https://www.bverwg.de/260423U6C8.21.0 [letzter Zugriff 23.1.24]
Geier, Ruth (2013): „Es sieht ja keiner“. Zur Wahlkampfkommunikation der NPD. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 3, 275–289
Girnth, Heiko (2023): Wahlprogramme und Wahlkampfreden. In: Janich, Nina/ Pappert, Steffen/ Roth, Kersten Sven (Hgg.): Handbuch Werberhetorik. Berlin/ Boston: de Gruyter. (Handbücher Rhetorik Band 12), S. 439–460.
Grice, Herbert Paul (1975/1989): Logic and Conversation. In: Grice, Paul: Studies in the Way of Words, Cambridge: Harvard University Press, S. 22–40. dt. Übersetzung: Logik und Konversation. In: Meggle, Georg (Hg.): Kommunikation und Bedeutung. Frankfurt 1993, S. 243–265.
Mau, Steffen/ Lux, Thomas/ Westheuser, Linus (2023): Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin: Suhrkamp. (edition suhrkamp).
Meibauer, Jörg (Hg.) (2013): Hassrede/ Hate Speech. Interdisziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion. (Linguistische Untertsuchungen 6). Gießener Elektronische Bibliothek 2013. http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9251/
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVGNRW), 5 A 1386/20, Urteil vom 22.6.2021. https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2021/5_A_1386_20_Urteil_20210622.html [letzter Zugriff 23.1.24]
Wodak, Ruth (2020): Politik mit der Angst. Die schamlose Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Diskurse. 2., völlig neu bearbeitete Aufl. Wien, Hamburg: Edition Konturen.
Diesen Beitrag zitieren als:
Girnth, Heiko. 2024. „Migration tötet!“ – Meinungsfreiheit oder Volksverhetzung? In: Sprachspuren: Berichte aus dem Deutschen Sprachatlas 4(2). https://doi.org/10.57712/2024-02