Das REDE-SprachGIS als Hilfsmittel für die forensische Sprechererkennung: Horizontales und vertikales Hören

Im Sprachspuren-Beitrag vom 01. Juli 2021 hat Roland Kehrein veran­schau­licht, wie die im REDE-SprachGIS zur Verfügung stehenden Karten für die Einord­nung der Herkunft eines Sprechers/einer Spreche­rin verwendet werden können. In diesem Beitrag werden weitere Möglich­kei­ten, das REDE-SprachGIS für das Speaker Profiling zu nutzen, beschrie­ben. Verwendet werden die Aufnahmen aus den im REDE-SprachGIS enthal­te­nen Aufnahmen des REDE-Korpus (einen Überblick über die verschie­de­nen Korpora finden Sie hier; nähere Infor­ma­tio­nen zum REDE-Projekt bieten auch Ganswindt/Kehrein/Lameli 2015). 

Die Tonauf­nah­men können in der foren­si­schen Sprecher­er­ken­nung ebenso wie die Karten gewinn­brin­gend einge­setzt werden, wenn die Herkunft eines verdäch­ti­gen Sprechers/einer verdäch­ti­gen Spreche­rin näher einge­grenzt werden soll. In diesem Fall spreche ich von „horizon­ta­lem Hören“, also dem Hören „im Raum“, wobei verschie­de­ne Sprecher aus verschie­de­nen Regionen angehört und deren regio­nal­sprach­li­che Merkmale mit der Aufnahme des/der Tatver­däch­ti­gen vergli­chen werden. Die im SprachGIS zur Verfügung stehenden Aufnahmen können aber auch genutzt werden, um zu überprü­fen, wie sich die Sprech­wei­se von Sprechern und Spreche­rin­nen unter­schied­li­cher Herkunft in unter­schied­li­chen Situa­tio­nen verändern kann. Denn je nach Situation sprechen Menschen eventuell mal stärker und mal weniger stark regional gefärbt. Um sich von dieser intra­per­so­nel­len Sprach­va­ria­ti­on einen Hörein­druck verschaf­fen zu können, kommt die Methode des „verti­ka­len Hörens“, zum Einsatz. Dabei werden einzelne oder auch mehrere Sprecher/Sprecherinnen an einem bestimm­ten Ort in verschie­de­nen Situa­tio­nen angehört. Hierbei ist es das Ziel, einen Eindruck davon zu bekommen, ob ein Sprecher/eine Spreche­rin aus einer bestimm­ten Region in der Lage ist, seine/ihre Sprech­wei­se zu verändern und wie diese Verän­de­run­gen aussehen. Diese Methode kann hilfreich sein, wenn es mehrere Aufnahmen eines verdäch­ti­gen Sprechers/einer verdäch­ti­gen Spreche­rin gibt, die aber unter­schied­lich stark regional gefärbt sind. Die beiden Methoden werden anhand von fiktiven Fällen erläutert. Bereits an dieser Stelle sei aller­dings erwähnt, dass beide Methoden lediglich als Ergänzung zu bewährten Methoden der foren­si­schen Sprecher­er­ken­nung zu betrach­ten sind.

Horizontales Hören

Nehmen wir an, dass eine Straftat begangen wurde, bei der die Stimme eines männli­chen Täters aufge­zeich­net wurde. 

Der Sprecher scheint sich dabei zu bemühen, Hochdeutsch zu sprechen. Eine phone­ti­sche und normor­tho­gra­phi­sche Transkrip­ti­on liefert die folgende Tabelle.

Normor­tho­gra­phi­sche TranskriptionFeinpho­ne­ti­sche Transkription
bereits auf der Straße im Vorschulalter (…) diese typischen (…) regio­na­len Aussprachen (…) die dann markant einen zuordnen lassenb̥əʁa͡e̝t͡s ɔ͡ʊ̞f d̥ə ʃʁa̠ːsɜˑ ɪ̠m foːɵʃʊlʔɐtʰɜ (…) dɪzɘ tʰyˑp̬ʏʃ̠ə̃n (…) ʁɛ̝ɡ̊ʏna̠ːl̆n̩ a̠͡o̝ʃ̠pʁa̠ːχən (…) d̥iˑ d̥ɜn ma̠kʰa̠ntʰ a͡ɛnɘ̃n t͡suˑʔɔχt̬ⁿnən la̠sn̩
Tab. 1: Transkrip­ti­on der „Täter­auf­nah­me“ mit Hervor­he­bung auffäl­li­ger regio­na­ler Merkmale

Für die Erstel­lung eines Sprecher­pro­fils spielt die regionale Herkunft eines/einer Verdäch­ti­gen eine große Rolle (vgl. hierzu z. B. Künzel 1987, Jessen 2012), sodass nun versucht werden soll, diese möglichst genau zu bestimmen. Zunächst ist festzu­stel­len, dass der Sprecher weder akzent­frei­es Hochdeutsch noch tiefen Dialekt spricht. Es lassen sich einige regionale Merkmale heraus­hö­ren: Hierzu zählt die (tenden­zi­el­le) Velari­sie­rung des standard­sprach­li­chen Later­al­ap­pro­xi­man­ten /l/ im Wort „Vorschul­al­ter“ sowie die tenden­zi­el­le Rückver­la­ge­rung des postalveo­la­ren Frikativs /ʃ/ in Richtung eines alveolo-palaten Lautes ([ɕ]). Besonders auffällig ist die Reali­sie­rung des Phonems /r/ im Wort „zuordnen“. In der kodifi­zier­ten Standard­spra­che würde das /r/ an dieser Stelle vokali­siert, also als [ɐ] ausge­spro­chen. Der Täter verwendet hier aber einen regions­spe­zi­fi­schen Frikativ, nämlich velares [x], den sog. ach-Laut. Um die Herkunft des Sprechers einzu­gren­zen, werden nun syste­ma­tisch Aufnahmen unter­schied­li­cher Sprecher aus verschie­de­nen Regionen angehört. Hierbei bietet sich besonders eine hierar­chi­sche Dialekt­ein­tei­lung wie die von Lameli (2013) an.


Abb.1: Dialekt­ein­tei­lung nach Lameli (2013)

Zur groben Eingren­zung der Herkunft des verdäch­ti­gen Sprechers ziehen wir nun Aufnahmen aus dem REDE-Korpus aus sieben Großräu­men, die zur besseren Übersicht in der folgenden Abbildung farblich vonein­an­der abgesetzt werden, heran.

Abb. 2: Großre­gio­nen, aus denen die unter­such­ten Aufnahmen stammen, entnommen aus Lameli 2013: 186. 1 = Nordfrie­sisch, 2 = Nieder­deutsch, 3 = Westdeutsch, 4a = östliches Mittel­deutsch, 4b = westli­ches Mittel­deutsch, 5a = Westober­deutsch, 5b = Ostoberdeutsch

Es werden Aufnahmen der Vorle­se­aus­spra­che gewählt, um so einen guten Vergleich mit der standard­na­hen Aufnahme des Täters zu gewähr­leis­ten. Die für diesen Beitrag gewählten Aufnahmen stellen nur einen Ausschnitt der tatsäch­lich zur Verfügung stehenden Aufnahmen dar. In jeder Region könnten ergänzend zahlrei­che weitere Aufnahmen hinzu­ge­zo­gen werden.


Abb. 3: Aufnahmen aus den 7 Großre­gio­nen der Dialekt­ein­tei­lung nach Lameli sowie Aufnahme des Verdächtigen.
Breklum
Lüneburg
Weissen­fels
Bergheim
Bad Nauheim
München
Tuttlin­gen
TÄTER

Das Durch­hö­ren der Aufnahmen legt die Vermutung nahe, dass der Informant aus dem in Abbildung 3 grün markier­ten Gebiet stammt, da auch in der Aufnahme aus Bergheim zum Teil ähnliche regionale Merkmale auftreten, wie die Realsie­rung vom /r/-Phonem als Frikativ [χ] im Wort „wird“ ([vɘχt]) sowie Korona­li­sie­run­gen, z. B. in den Wörtern „durch“ ([d̥ʊ̽ʏʃ]) und „gleich“ ([ɡ̊ˡlɐ͡e̝ɕ]).


Abb. 4: Eingren­zung der Sprecher­her­kunft auf der ersten Stufe.

Bei diesem Gebiet handelt es sich nach Lameli um die Region „Westdeutsch“ (vgl. auch Abb. 2). Die Frage, die sich jetzt stellt, ist: Lässt sich die Herkunft des Sprechers innerhalb dieses Gebietes noch weiter eingren­zen? Zu diesem Zweck wird nun die Dialekt­ein­tei­lung von Lameli (2013) mit der Dialekt­ein­tei­lung von Wiesinger (1983) kombiniert.


Abb. 5: Gegen­über­stel­lung der Dialekt­ein­tei­lungs­kar­ten nach Lameli (2013, links) und Wiesinger (1983, rechts)

Die linke Karte von Lameli (2013: 197) zeigt die Ähnlich­kei­ten zwischen den Dialekten in den Landkrei­sen im ausge­wähl­ten Gebiet an. Die Dialekt­ein­tei­lungs­kar­te von Wiesinger (1983) weist in diesem Gebiet, dem Mittelfränkischen, verschie­de­ne Teilge­bie­te aus: Niederfränkisch, Ripuarisch und Moselfränkisch sowie Übergangs­ge­bie­te, die sich auch bei Lameli zeigen. In diesem Gebiet lassen sich also noch klein­räu­mi­ge­re Unter­schei­dun­gen treffen. Um zu prüfen, ob sich die Herkunft des Verdäch­ti­gen noch weiter eingren­zen lässt, werden nun Aufnahmen aus diesen klein­räu­mi­gen Regionen herangezogen.


Abb. 6: Aufnahmen aus den unter­schied­li­chen Dialekt­ge­bie­ten im bisher einge­grenz­ten Gebiet.
Dinslaken
Krefeld
Köln
Aachen
Linz am Rhein
Wittlich
TÄTER

Beim Hören durch den Raum zeigt sich, dass ein Haupt­cha­rak­te­ris­ti­kum des Verdäch­ti­gen, nämlich der bereits angespro­che­ne velare Frikativ [x] im Lemma „zuordnen“, auch in Aufnahmen aus Krefeld (Übergangs­ge­biet zwischen Nieder­frän­kisch und Ripua­risch), Köln (Ripua­risch) und Aachen (Ripua­risch) zu finden ist, bei allen drei Sprechern im Wort „wird“, das als [vɪxtʰ] reali­siert wird. Es ist daher anzuneh­men, dass der Sprecher weder aus dem Raum um Dinslaken (Nieder­frän­kisch), noch aus dem Raum Linz (Übergangs­ge­biet zwischen Ripua­risch und Mosel­frän­kisch) oder dem Raum Wittlich (Mosel­frän­kisch) stammt. Eine Herkunft aus dem Ripua­ri­schen Sprach­raum ist wahrscheinlich.

Gelingt noch eine weitere Eingren­zung der Herkunft des verdäch­ti­gen Sprechers? Ein weiteres wichtiges Charak­te­ris­ti­kum in der Sprech­wei­se des Verdäch­ti­gen ist die Prosodie. Um auch hier nach Ähnlich­kei­ten zu suchen, erfolgt ein erneuter Vergleich zwischen den Aufnahmen des Verdäch­ti­gen und den Aufnahmen aus Krefeld, Köln und Aachen.

Abb. 7: Vergleich der Prosodie des Verdäch­ti­gen und der Sprecher aus Krefeld, Köln und Aachen.

Es zeigt sich, dass die Prosodie des Sprechers aus Köln der des Verdäch­ti­gen am stärksten ähnelt. Die Prosodie ist eines der am wenigsten gut kontrol­lier­ba­ren regio­nal­sprach­li­chen Charak­te­ris­ti­ka, auch dann, wenn Sprecher/Sprecherinnen bemüht sind, Hochdeutsch zu sprechen. Daher ist es plausibel, anzuneh­men, dass der Verdäch­ti­ge aus diesem Raum, also nach Wiesinger (1983) aus dem ripua­ri­schen Dialekt­raum stammt. Nun gilt es zu überprü­fen, ob innerhalb dieses Raumes noch eine weitere Eingren­zung der Herkunft des Verdäch­ti­gen möglich ist. Hierfür werden Aufnahmen aus dem REDE-Korpus aus allen Orten im ripua­ri­schen Sprach­raum herangezogen.

Abb. 8: REDE-Aufnahmen aus dem Ripuarischen.
Bergheim
Köln
Bergisch Gladbach
Aachen
Düren
Troisdorf

Deutliche Unter­schie­de, die zu einer weiteren Eingren­zung der Sprecher­her­kunft des Verdäch­ti­gen führen könnten, lassen sich in den Vergleichs­auf­nah­men nicht erkennen, eine weitere Eingren­zung ist in diesem Fall entspre­chend nicht möglich. Die Größe des Gebietes, aus dem der Verdäch­ti­ge stammen könnte, konnte auf ein Gebiet von etwa. 70x130 km einge­grenzt werden.

Kommen wir nun zur Auflösung. Der gesuchte Sprecher stammt aus Düren, einem Ort südwest­lich von Köln innerhalb des ripua­ri­schen Sprachraums.

Abb. 9: Herkunft des Sprechers.

Anhand dieses Beispiels konnte gezeigt werden, dass es mit der Methode des horizon­ta­len Hörens möglich ist, die Herkunft eines Sprechers auf ein relativ kleines Gebiet innerhalb des deutschen Sprach­raums einzu­gren­zen, auch wenn dieser Sprecher in der zur Verfügung stehenden Aufnahme bemüht ist, Hochdeutsch zu sprechen. Die Methode kann gewinn­brin­gend als Ergänzung in der foren­si­schen Sprecher­er­ken­nung verwendet werden.

Vertikales Hören

Beim verti­ka­len Hören werden unter­schied­li­che Aufnah­me­si­tua­tio­nen eines Sprechers (im REDE-Korpus wurden nur Männer aufge­nom­men) an einem bestimm­ten Ort mitein­an­der vergli­chen, um so einen Eindruck darüber zu erhalten, inwieweit Sprecher/Sprecherinnen aus einer bestimm­ten Region in der Lage sind, ihre Sprech­wei­se situa­ti­ons­ge­bun­den zu ändern. Diese Methode ist in der foren­si­schen Sprecher­er­ken­nung dann nützlich, wenn mehrere Aufnahmen mit unter­schied­lich starker Regio­na­li­tät zur Verfügung stehen und überprüft werden muss, ob es sich bei diesen Aufnahmen um einen oder verschie­de­ne Sprecher/Sprecherinnen handelt. Eines ist an dieser Stelle aller­dings deutlich zu betonen: Diese Methode kann nur eine Ergänzung zu weiteren phonetisch-akustischen Analysen sein, sie ist keine eigen­stän­di­ge Methode zum Nachweis dafür, dass zwei Aufnahmen von ein und demselben Sprecher/ein und derselben Spreche­rin stammen.

Kommen wir zu unserem fiktiven Fall zurück und stellen uns vor, es erreicht uns eine weitere Aufnahme zu einem sehr ähnlichen Verbrechen. 

TÄTER

Tabelle 2 zeigt die normor­tho­gra­phi­sche und die feinpho­ne­ti­sche Transkrip­ti­on der Aufnahme.

Normor­tho­gra­phi­sche TranskriptionFeinpho­ne­ti­sche Transkription
Da gibt es ja, gibt es ja viel Geld hey dafür, ne, dass die Leute sich melden.d̥ɐ ɡ̊ib ət çɑː jɘd ɘt ʝ̞ɔ̜ vɘ̆l̴ jɛtʰ h̬ɛ̝ d̥ɜvyːɞ̜ nɛ ɾət tɪ̠ lø̝kɕ
Was sollen wir sonst tun, wir können auch nicht fliegen.t sɵm̞ m̞ɜ zɔnsd̥ d̥o̜ən mʏ kʰœ̝n ɔ̜ n̞ɛt fleːjɛ̹
Im Krankenhaus, plötzlich geht da nix mehr, ne?ə̆m kχã̠ŋko̝ɦo̝ːs pˡlœt͡sɘ̆ɕ ɕe̝ːt tɜ ne̝ks me̝ː nœ̜
Tab. 2: Transkrip­ti­on der zweiten „Täter­auf­nah­me“ mit Hervor­he­bung auffäl­li­ger regio­na­ler Merkmale

Der Sprecher dieser Aufnahme spricht aller­dings einen tieferen Dialekt als der Sprecher in unserer ersten Aufnahme. Der Dialekt ist als Ripua­risch zu identi­fi­zie­ren, wie sich an den hervor­ge­ho­be­nen Merkmalen zeigt. So fallen wie in der ersten Aufnahme Velari­sie­run­gen von standard­sprach­li­chem /l/ auf, ebenso g‑Spirantisierung zu [j] im Wort „Geld“ und „fliegen“, unver­scho­be­nes germ. /t/ im Wort „es“ sowie die Korona­li­sie­rung von standard­sprach­li­chem /ʃ/ zu [ɕ]. Hinzu kommen die Senkung von standard­sprach­li­chem /iː/ im Wort „fliegen“ sowie die Monoph­thon­gie­rung von standard­sprach­li­chem /a̠͡ʊ/ im Wort „Kranken­haus“ (vgl. zu ripua­ri­schen Dialekt­merk­ma­len z. B. Wiesinger 1983, Lauf 1994 sowie Schmidt/Möller 2019). Es stellt sich nun die Frage: Ist es möglich, dass diese sehr ähnlichen Verbre­chen von ein und demselben Täter begangen wurden, der bei einem Vergehen dialek­ta­ler spricht als bei dem anderen? Tut er dies, weil er weiß, dass er aufge­zeich­net werden könnte und versucht so, die Polizei zu verwirren? Ein Stimmen­ver­gleich (vgl. hierzu z. B. Jessen 2012) ist an dieser Stelle das probate Mittel. Die Methode des verti­ka­len Hörens kann ergänzend einge­setzt werden, da hierdurch das Sprach­ver­hal­ten von Sprechern/Sprecherinnen aus einer bestimm­ten Region beobach­tet werden kann. In anderen Worten: Es ist mithilfe des verti­ka­len Hörens möglich, heraus­zu­fin­den, ob es Sprechern/Sprecherinnen aus einer bestimm­ten Region möglich ist, sowohl Dialekt als auch Hochdeutsch zu sprechen oder zumindest eine Sprech­wei­se zu verwenden, die der kodifi­zier­ten Standard­spra­che nahekommt. Da die Infor­man­ten des REDE-Projekts in 5 verschie­de­nen Situa­tio­nen aufge­nom­men wurden, die sich alle in ihrem Forma­li­täts­grad unter­schei­den, lässt sich hier auf eine gewisse Bandbrei­te an verschie­de­nen Kommu­ni­ka­ti­ons­si­tua­tio­nen zurück­grei­fen. Die sog. Kompe­tenz­er­he­bun­gen der Infor­man­ten aus dem REDE-Projekt, die Übertra­gung der Wenkersätze in ihr indivi­du­ell bestes Hochdeutsch und in ihren indivi­du­ell besten Dialekt sowie die Vorle­se­aus­spra­che sind für alle unter­such­ten Infor­man­ten über das SprachGIS abrufbar. Für einen Teil der Infor­man­ten stehen unter dem Punkt Spektrums­ana­ly­sen darüber hinaus Ausschnit­te aus den sog. Perfor­manz­si­tua­tio­nen Freun­des­ge­spräch und Interview zur Verfügung.

Abb. 10: Erhebungs­si­tua­tio­nen des REDE-Projekts.

Hören wir uns nun Sprecher aus dem ripua­ri­schen Sprach­raum in ihrem jeweils indivi­du­ell tiefsten Dialekt und besten Hochdeutsch an.

Bergheim (tiefster Dialekt)
Bergheim (bestes Hochdeutsch)
Köln (tiefster Dialekt)
Köln (bestes Hochdeutsch)
Bergisch Gladbach (tiefster Dialekt)
Bergisch Gladbach (bestes Hochdeutsch)
Aachen (tiefster Dialekt)
Aachen (bestes Hochdeutsch)
Düren (tiefster Dialekt)
Düren (bestes Hochdeutsch)
Troisdorf (tiefster Dialekt)
Troisdorf (bestes Hochdeutsch)

Der Vergleich zeigt: Es ist Menschen aus dem ripua­ri­schen Sprach­raum möglich, sowohl einen relativ tiefen Dialekt als auch ein Hochdeutsch mit nur wenigen regio­na­len Merkmalen zu sprechen. Daher ist es möglich, dass die beiden Aufnahmen aus unserem fiktiven Fall von ein und derselben Person stammen können. Wichtig ist hierbei aber, dass dies nicht auf alle Menschen aus diesem Sprach­raum zutrifft. Das bedeutet, dass es selbst­ver­ständ­lich auch Personen gibt, die gar keinen Dialekt (mehr) sprechen oder ihre Sprech­wei­se in unter­schied­li­chen Situa­tio­nen nur sehr wenig ändern. Die Methode kann, um es erneut zu betonen, lediglich als Ergänzung zu weiteren akustisch-phonetischen Analysen betrach­tet werden, um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie intra­per­so­nel­le sprach­li­che Variation in einer bestimm­ten Region aussehen könnte.

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

In diesem Beitrag wurden zwei Methoden zur Unter­stüt­zung der foren­si­schen Sprecher­er­ken­nung mit den im SprachGIS verfüg­ba­ren Sprach­auf­nah­men des REDE-Korpus vorge­stellt. Die Methode des „horizon­ta­len Hörens“ kann unter­stüt­zend einge­setzt werden, um die Herkunft eines Sprechers/einer Spreche­rin zu ermitteln. Das „vertikale Hören“ kann einen Eindruck darüber vermit­teln, wie Sprecher an bestimm­ten Orten in verschie­de­nen Situa­tio­nen sprechen (können). Man erfährt mit dieser Methode also etwas über das (inter­si­tua­ti­ve) sprach­li­che Verhalten von Sprechern an einem bestimm­ten Ort. Zur allei­ni­gen Bestim­mung der Sprecher­her­kunft bzw. zur Einschät­zung, ob zwei Aufnahmen von ein und derselben Person stammen, sind diese Methoden selbst­ver­ständ­lich nicht geeignet. Hierfür sind weitere phonetisch-akustische Analysen vonnöten, wie die Erstel­lung eines umfas­sen­den Stimm­pro­fils, für das Fachli­te­ra­tur wie die DRUGS und Dialekt­gram­ma­ti­ken für die nähere Eingren­zung der Sprecher­her­kunft heran­ge­zo­gen werden sollten. Auch der Einsatz von Sprach­kar­ten aus Wenkers Sprach­at­las des Deutschen Reichs kann hierbei gewinn­brin­gend sein (vgl. den Beitrag in den „Sprachspuren“ von Roland Kehrein), ebenso wie die Nutzung der neu entstan­den Plattform zu den Regionalakzenten des Deutschen. Die Methoden können aber als eine hilfrei­che Stütze und Ergänzung in der foren­si­schen Sprecher­er­ken­nung angewandt werden.

Literatur

Ganswindt, Brigitte/Kehrein, Roland/Lameli, Alfred (2015): Regionalsprache.de (REDE). In: Kehrein, Roland/Lameli, Alfred/Rabanus, Stefan (Hrsg.): Regionale Variation des Deutschen. Projekte und Perspek­ti­ven. Berlin/Boston: De Gruyter, 425–457. https://doi.org/10.1515/9783110363449-019

Jessen, Michael (2012): Phone­ti­sche und lingu­is­ti­sche Prinzi­pi­en des foren­si­schen Stimmen­ver­gleichs. München: LINCOM EUROPA (LINCOM studies in phonetics. 9).

Künzel, Hermann J. (1987): Sprecher­er­ken­nung. Grundzüge foren­si­scher Sprach­ver­ar­bei­tung. Heidelberg.

Lameli, Alfred (2013): Strukturen im Sprachraum. Analysen der arealtypologischen Komplexität der Dialekte in Deutschland. Berlin/Boston: de Gruyter (Lingu­is­tik – Impulse und Tendenzen. 54).

Lauf, Raphaela (1994): Datenbank regio­na­ler Umgangs­spra­chen des Deutschen. DRUGS. Abschluß­be­richt. Manuskript. Univer­si­tät Marburg.

Schmidt, Jürgen Erich/Möller, Robert: Histo­ri­sches Westdeutsch/Rheinisch (Mosel­frän­kisch, Ripua­risch, Südnie­der­frän­kisch). In: Herrgen, Joachim/Schmidt, Jürgen Erich (Hg.): Sprache und Raum. Ein inter­na­tio­na­les Handbuch der Sprach­va­ria­ti­on. Band 4: Deutsch. Unter Mitarbeit von Hanna Fischer und Brigitte Ganswindt. Berlin/Boston: De Gruyter Mouton. (Handbü­cher zur Sprach- und Kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft. 30.4), 515–550. https://doi.org/10.1515/9783110261295-016

Wiesinger, Peter (1983): Die Eintei­lung der deutschen Dialekte. In: Besch, Werner/ Knoop, Ulrich/ Putschke, Wolfgang/ Wiegand, Herbert Ernst (Hg.): Dialek­to­lo­gie. Ein Handbuch zur deutschen und allge­mei­nen Dialekt­for­schung. (1982/1983). Berlin / New York: Walter der Gruyter (Handbü­cher zur Sprach- und Kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft. 1.2) 2. Teilband, 807–89.

Diesen Beitrag zitieren als:

Limper, Juliane. 2022. Das REDE-SprachGIS als Hilfs­mit­tel für die foren­si­sche Sprecher­er­ken­nung: Horizon­ta­les und verti­ka­les Hören. Sprach­spu­ren: Berichte aus dem Deutschen Sprach­at­las 2(12). https://doi.org/10.57712/2022-12

Juliane Limper
Juliane Limper ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Regionalsprache.de am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas und leitet dort die Arbeitsgruppe „Spektrum“. Ihre Interessensgebiete liegen im Bereich der Variationslinguistik, der allgemeinen Phonetik und der forensischen Phonetik.