Die Figura Etymologica, die auch als kognates Objekt bezeichnet wird, ist eine rhetorische Figur, bei der innerhalb eines Satzes zwei Wörter auftreten, die beide den gleichen morphologischen Stamm haben, sich jedoch in ihrer Derivationsform unterscheiden (s. Mayer: 1996). Beispiele im Deutschen wären gängigere Wendungen wie einen Kampf kämpfen, oder ein Spiel spielen oder der Zungenbrecher wie in (1).
(1) Fischer Fritz fischt frische Fische.
Dieses Phänomen ist im Altgriechischen jedoch wesentlich verbreiteter als im Deutschen: Reece (1997) bezeichnet es als allgegenwärtig in den epischen Texten und Clary (2009) beziffert sein Vorkommen in den Texten von Homer und Hesiod auf etwa alle 75 Verse.
In dieser kurzen quantitativen Analyse wird die Rolle der Figura Etymologica im Altgriechischen anhand der Greek Dependency Treebank (Celano: 2014) und dem SBL Greek New Testament (Tauber: 2017) untersucht und mit dem Neugriechischen verglichen, wozu auf die Greek Universal Dependencies Treebank (Prokopidis et al.: 2005) zurückgegriffen wird.
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Wie in fischt frische Fische ist die Kombination Prädikat mit Akkusativobjekt sehr häufig anzutreffen (s. Leggewie et al.: 2014).
(2) κάλλιστον ἔργον ἐργαζεσθαι (“eine gute Tat tun”)
Darüber hinaus sind auch noch andere Kombinationen wie Subjekt-Prädikat (der Fischer fischt), Nomen-Partizip (gefischte Fische) und Nomen-Adjektiv/Adverb (fischige Fische) möglich (s. Mayer: 1996). In seiner Analyse der Hymne des Hermes zeigt Reece (1997), dass die Figura Etymologica auch nicht auf zwei Komponenten innerhalb eines Satzes beschränkt sein muss, sondern in Form von kunstvollen Wortspielen ganze Passagen überspannen kann. Fehling (1969) ordnet die Figura Etymologica der Gruppe der rhetorischen Wiederholungsfiguren zu, die eine verstärkende, hervorhebende Funktion haben. Er befasst sich bereits mit der Frage, wie häufig diese Figur in altgriechischen Texten auftritt und listet sämtliche von ihm gefundenen Fälle auf und klassifiziert sie nach ihren grammatischen Funktionen (Prädikat mit Akkusativobjekt, Prädikat mit Dativ- oder Genitivobjekt, Subjekt mit Prädikat, Prädikat mit Präpositionalkonstruktionen, Nomen mit Attribut und Verschiedenes). Über die Hälfte der von ihm gefundenen Belege sind Verbindungen aus Prädikat und Akkusativobjekt, gefolgt von Prädikat-Dativ- oder Genitivobjekt und Subjekt-Prädikat. Verbindungen mit Paztizipialkonstruktionen und Nomen mit Attribut sind hingegen sehr selten. Jedoch gibt Fehling (1969) nicht an, wie häufig die einzelnen Stämme auftreten und ob es bestimmte häufigere Wendungen gibt. Zudem gibt es bislang keinerlei Arbeiten die untersuchen, welche Rolle der Figura Etymologica im Neugriechischen zukommt. Diesen beiden Fragen wird mit einer korpuslinguistischen Untersuchung von drei Datenbanken nachgegangen.
Daten
Für die Analyse wurden die Ancient Greek Dependency Treebank (Celano: 2014), das SBL Greek New Testament (Tauber: 2017) und die Greek Universal Dependencies Treebank (Prokopidis et al.: 2005) verwendet, die im folgenden kurz vorgestellt werden.
1. Ancient Greek Dependency Treebank (Celano: 2014): Diese Datenbank enthält syntaktisch und morphologisch annotierte Texte von Autoren wie Aischylos, Homer, Platon, Sophokles, Äsop und vielen anderen (eine vollständige Auflistung findet sich im Anhang der PDF). Die Datenbank liegt im XML-Format vor und kann kostenlos heruntergeladen werden. Für diese Analyse wurde die Version 2.1 der Datenbank verwendet.
2. SBL Greek New Testament (Tauber: 2017): In dieser Datenbank wurde das SBL Greek New Testament (Holmes 2010), eine lizenzfreie Ausgabe des Neuen Testaments morphologisch aufbereitet und ist ebenfalls kostenlos zugänglich (verwendet wurde die Version von März 2019).
3. Greek Universal Dependencies Treebank (Prokopidis et al.: 2005): Diese Datenbank enthält syntaktisch und morphologisch aufbereitete lizenzfreie Texte in modernem Griechisch, wie z. B. Wikinews-Artikel und Mitschriften von Sitzungen des Europaparlaments. Die Datenbank liegt im conllu-Format vor und für diese Analyse wurde Version 2.3 verwendet.
Wie „fischt“ man die Figurae Etymologicae aus den Texten?
Anders als Fehling (1969), der sämtliche Belege von Hand aus den Texten gesucht haben dürfte, quasi „Angeln mit der Angelrute“ wurde hier eine maschinelle Suchmethode angewendet, bei der sämtliche Texte in den Datenbanken satzweise durchsucht wurden, quasi „Angeln mit dem Schleppnetz“. Jedoch kann man das nicht einfach wie bei einer normalen Suchmaschine machen, in die man einen (oder mehrere) Suchbegriff(e) eingibt, denn man weiß ja vorab nicht, welche Fälle zu erwarten sind. Jedoch weiß man, dass man ein Phänomen sucht, bei dem innerhalb eines Satzes zwei Wörter den gleichen Wortstamm haben, sodass man die Texte nach diesem Muster filtern kann. Im Altgriechischen wird der Verbalstamm entweder durch das Hinzufügen bestimmter Suffixe nominalisiert (z. B. wie im Deutschen bei geben – der Geber) oder durch Konversion der Infinitivform (geben – das Geben) (s. Leggewie et al.: 2014). In (3) wird der Stamm βασιλευ- durch Anfügen des Suffixes -ς nominalisiert und durch das Suffix -ω als Verb im Präsens in der 1. Person Singular gekennzeichnet.
(3) Stamm: βασιλευ- (“herrsch-”) Nomen: βασιλεύ‑ς (“der Herrscher”) Verb: βασιλεύ‑ω (“ich herrsche”)
Entsprechend kann man gleiche Stämme über die ersten N Buchstaben eines Wortes ermitteln. N kann man mit der Maschengröße eines Netzes vergleichen: Wenn man N zu niedrig ansetzt, werden auch zahlreiche Fälle „herausgefischt“ die nicht dem gewünschten Muster entsprechen; die „Maschen“ sind also zu eng. Wenn N hingegen zu hoch ist (die „Maschen“ zu weit sind), gehen Fälle „durchs Netz“, die eigentlich relevant gewesen wären.
Bei der Bestimmung von N ist zu bedenken, dass (wie im Deutschen) Präpositionen als Präfixe an die Stämme angefügt sein können. In (4) wird beispielsweise die Richtung des Verbs ἄγω durch verschiedene Präfixe modifiziert.
(4) Stamm: ἄγω (“führen”) mit Präfix: εἰσ-άγω (“hineinführen”), κατ-άγω (“herunterführen”)
Im Beispiel κατάγω (κατα + ἄγω) sieht man auch, dass Präfix und Stamm oftmals so verschmolzen sind, dass man sie nicht mehr sauber trennen kann. Jedoch sind diese Präfixe nie länger als 4 Buchstaben, sodass sich die Festsetzung von N = 5 anbietet, damit nicht die unerwünschten Fälle mit identischem Präfix aber unterschiedlichen Stamm herausgezogen werden. Setzt man N jedoch höher als 5 an, wird das Suchmuster zu eng und gesuchte Fälle werden übersehen.
Ergebnisse
Altgriechisch
In den Texten der Ancient Greek Dependency Treebank wurden insgesamt 61 Belege für die Figura Etymologica gefunden. Interessanterweise ähnelt die Verteilung der Häufigkeit der Stämme einer Zipf-Verteilung, die die allgemeine Häufigkeit von Wörtern in einem Text modelliert.
Der häufigste Stamm στρατ- (“kämpfen”) tritt achtmal auf, gefolgt von βασιλ- (“herrschen”; siebenmal) und δύναμ- (“Macht haben”; viermal). Die folgenden fünf Stämme treten zweimal auf: ἐλευθ- (“befreien”), πολιο- (“eine Stadt belagern”), πολιτ- (“Politik betreiben”), τελευ- (“beenden”) und κατασ- (“vorbereiten”). 32 weitere Stämme treten nur einmal auf, darunter φθειρ- (“zerstören”), ἀπειλ- (“bedrohen”), ἐπιστ- (“schicken”) und ἀλιεύ- (“fischen”) (alle weiteren Fälle sind im Anhang der PDF mit Belegstellen aufgelistet).
(5) Ἁλιεὺς ἔν τινι ποταμῷ ἡλίευε. (Ein Fischer fischte in einem Fluss.)
Wenn man die Stämme ihrer Bedeutung nach vergleicht, fällt auf, dass sie alle dem Wortfeld Herrschaft-Kriegsführung zugeordnet werden können, was mit der Beobachtung von Fehling (1969) übereinstimmt, dass der Figura Etymologica in der „Rechts- und Verwaltungssprache“ eine besondere Bedeutung zukommt.
Bezüglich der Kasuspräferenz des Nomens liegt der Akkusativ vorn (28 Fälle), gefolgt vom Genitiv und Nominativ (13 Fälle) und dem Dativ (8 Fälle).
Neues Testament
Verglichen mit den Texten aus der Ancient Greek Dependency Treebank finden sich im Neuen Testament deutlich mehr Figurae Etymologicae. Es handelt sich um insgesamt 96 Belege. Davon finden sich die meisten Belege im Johannesevangelium (14 Fälle, 10 davon vom Stamm μαρτυ- (“bekennen”)) und im Lukasevangelium (9 Fälle). Selbst ein so kurzer Text wie der 1. Johannesbrief enthält sechs Belege, hingegen finden sich im 2. Johannesbrief keine und im 3. Johannesbrief lediglich eine Figura Etymologica. Das ist im Kontext der Autorschaftsdebatten bezüglich der Johannesbriefe interessant, da es die Annahme unterstützen würde, dass 1. Joh von einem anderen Verfasser stammt als 2. und 3. Joh (s. Schnelle: 2011).
Auch hier folgt die Häufigkeit der Stämme einer Zipf-Verteilung: 14x μαρτυ- (“bekennen”), 5x δύναμ- (“Macht haben”), 5x εύαγγ- (“das Evangelium verkündigen”), 5x αμαρτ- (“sündigen”), 4x διδασ- (“lehren”) und 4x βασιλ- (“herrschen”). Sechs Stämme treten dreimal auf, fünf nur zweimal und 27 nur einmal (die vollständige Tabelle mit allen Stämmen und die zugehörigen Belege finden sich im Anhang der PDF). Bei den Stämmen handelt es sich durchweg um theologisch bedeutsame Begriffe, sodass sie sich am besten einem Wortfeld Biblische Sprache zugeordnet werden können. Bei der Kasuspräferenz des Nomens liegt wie beim nicht-biblischen Altgriechisch der Akkusativ vorn (43 Fälle), gefolgt vom Nominativ (27 Fälle), Genitiv (17 Fälle), Dativ (12 Fälle) und sogar dreimal Vokativ.
In Mt 6:19 finden sich sogar zwei Belege in einem Satz:
(6) Μὴ θησαυρίζετε ὑμῖν θησαυροὺς ἐπὶ τῆς γῆς, […] ὅπου κλέπται διορύσσουσιν καὶ κλέπτουσιν· (“Ihr sollt euch keine Schätze auf der Erde sammeln […] wo Diebe einbrechen und stehlen”.)
Neugriechisch
In der Greek Universal Dependencies Treebank wurden lediglich 20 Belege für das moderne Griechisch gefunden. Fünfmal επιτρ- (“genehmigen”), dreimal υποχρ- (“verpflichtet sein”), zweimal υποστρ- (“unterstützen”) und jeweils einmal διαμα- (“protestieren”), δραστ- (“aktiv sein”), δοκιμ- (“versuchen”), παραλ- (“auslassen”), μετακ- (“bewegen”), χαρακ- (“charakterisieren”), καθαρ- (“aufräumen”), ενοπο- (“konsolidieren”), συγξο- (“gratulieren”) und τροπο- (“verbessern”). Wie im Altgriechischen gibt es auch hier die Tendenz zu einem gemeinsamen Wortfeld, nämlich Verträge/Gesetz, was auch zu der von Fehling (1969) für das Altgriechische beobachteten Tendenz zur Verwaltungssprache passt. Auffällig ist auch, dass 16 der 20 Stämme präfigiert sind; im Altgriechischen waren dies lediglich 8 von 61 Stämmen und im Biblischen Griechisch 17 von 96 Stämmen. Die Kasushäufigkeit beim Nomen verhält sich jedoch ähnlich wie im Altgriechischen: Der Akkusativ ist am häufigsten (10 Fälle), gefolgt von Genitiv und Nominativ (jeweils fünfmal). Das folgende Beispiel zeigt eine Subjekt-Prädikat-Kombination und wurde aus gdt-20020205-ep-sessions 145–16 entnommen.
(7) η Επιτροπή επιτρέπει επιλεκτικά συστήματα (“Die Kommission erlaubt selektive Systeme”).
Fazit
Zwischen Altgriechisch (biblisch und nicht-biblisch) und modernem Griechisch gibt es zahlreiche Parallelen bezüglich der Rolle der Figura Etymologica. Die Häufigkeit der Stämme zeigt eine Tendenz zur Zipf-Verteilung (wenige Stämme sind sehr häufig, sehr viele treten nur einmal auf) und die Kasuspräferenz des Nomens verhält sich ebenfalls ähnlich (Akkusativ-Nominativ/Genitiv-Dativ). Zudem zeigen die Stämme eine Tendenz dazu, Wortfelder zu bilden, die dem Genre des analysierten Textes entsprechen (Altgriechisch: Herrschaft/Kriegsführung; Neues Testament: Biblische Sprache; Neugriechisch: Verträge/Gesetz).
Literatur
Boschetti, Federico; Del Gratta, Riccardo; und Diakoff, Harry (2016). Open ancient greek Word-Net 0.5. URL: http://hdl.handle.net/20.500.11752/ILC-56. ILC-CNR for CLARIN-IT repository hosted at Institute for Computational Linguistics “A. Zampolli”, National Research Council, in Pisa.
Celano, Giuseppe G. A. (2014). Guidelines for the annotation of the ancient greek dependency treebank 2.0. https://github.com/PerseusDL/treebank\_data/edit/master/AGDT2/guidelines.
Clary, Todd (2007). Restrictions on the use of the figura etymologica in ancient greek epic. The Journal of Indo-European Studies, 54:113–136.
Clary, Todd (2009). Rhetoric and repetition: The figura etymologica in homeric epic.
Fehling, Detlev (1969). Die Wiederholungsfiguren und ihr Gebrauch bei den Griechen vor Gorgias. Walter de Gruyter.
Holmes, Michael William (2010). Greek New Testament: SBL edition. Society of Biblical Literature.
Leggewie, Otto et al. (2014). Ars Graeca. Griechische Sprachlehre. 20. Aufl. Schöningh, Paderborn.
Mayer, Heike (1996). Figura Etymologica. Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 3: Eup–Hör.
Prokopidis, Prokopis; Desipri, Elena; Koutsombogera, Maria; Papageorgiou, Harris und Piperidis, Stelios (2005). Theoretical and practical issues in the construction of a greek dependency corpus. In Proceedings of The Fourth Workshop on Treebanks and Linguistic Theories (TLT 2005), Barcelona, Spain.
Reece, Steve (1997). A figura etymologica in the homeric hymn to hermes. The Classical Journal, 93(1): 29–39.
Schnelle, Udo (2011). Einleitung in das Neue Testament. UTB.
Tauber, J. K. (2017). MorphGNT: SBL GNT Edition. Version 6.12. [Data set]. https://github. com/ morphgnt/ sblgnt. DOI: 10.5281/zenodo.376200
Diesen Beitrag zitieren als:
Link, Samantha. 2023. In griechischen Textkorpora nach Fischen fischen – Die Rolle der Figura Etymologica im Alt- und Neugriechischen. Sprachspuren: Berichte aus dem Deutschen Sprachatlas 3(1). https://doi.org/10.57712/2023-01